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Surfen in der Vergangenheit

Wie zarte Fenster in die Vergangenheit lassen Erinnerungen das Licht der Erlebnisse in unsere Seele fließen, während die Zeit unaufhaltsam voranschreitet und die Erinnerungen im Glanz der Unvergänglichkeit erstrahlen lässt.
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 Die Schulzeit in den 1950er Jahren/ Die Schule der harten Zeiten

 

Als ich 1958 in die Maler Becker Schule, damals noch eine Volksschule, eingeschult wurde, waren die Bedingungen für Schüler und Schülerinnen ganz anders als heute.

 Die Schulpädagogik steckte noch in den Kinderschuhen, und man war damals der Ansicht, dass nur durch Strenge und Disziplin vernünftiger Unterricht möglich sei. Doch wir waren ja nur Kinder und verhielten uns entsprechend. So kam es automatisch zu Konflikten zwischen Lehrern und Schülern.

Ich erinnere mich an verschiedene Vorfälle, die mir wegen ihrer Schwere im Gedächtnis geblieben sind.


An dieser Stelle möchte ich betonen, dass wir nur wenige männliche Lehrer hatten, aber dafür besonders strenge Lehrerinnen, sg. Fräuleins.

Ein Lehrer hielt es für angebracht, uns Schüler mit einem Rohrstock zu züchtigen. 

Die Schläge mit dem Schullineal (1 m) auf den Hintern waren damals noch üblich und wurden auch von anderen Lehrern praktiziert.



Bevor es zu einer solchen Bestrafung vor der ganzen Klasse kam, stopften wir uns heimlich ein paar Hefte und Bücher unter die Hose, um die Schläge abzudämpfen.

Aber oft bemerkten die Lehrer: innen diesen Trick und schlugen umso härter. 

Andere Lehrer: innen schlugen auf die nackten Beine, Oberschenkel und Waden.

Einige Buben trugen Lederhosen, die die Schläge abfingen, aber es war dennoch sehr erniedrigend, vor der ganzen Klasse gezüchtigt zu werden.

Besonders brutal war ein Lehrer, der uns zwang, ein "Katzenpfötchen" zu machen und dann mit dem Rohrstock auf die Fingerkuppen schlug, bis sie blutunterlaufen waren.

Es war auch üblich, die ganze Klasse zu bestrafen, wenn ein Schüler etwas falsch gemacht hatte. 

Auf diese Weise litten die anderen Mitschüler mit und entluden ihren Frust an dem betroffenen Schüler. 

Genau das war gewollt und spaltete damals schon die Schülergemeinschaft.

Ab und zu übermannten uns auch die berüchtigten Lachanfälle, ausgerechnet während des Unterrichtes, die streng geahndet wurden.

 Wenn wir versuchten, unser Lachen zu unterdrücken, wurde es nur schlimmer. Dies stand im Widerspruch zur strengen Disziplin und wurde von den Lehrern bestraft. 

Wir mussten uns in die Eselsecke stellen und durften keine Geräusche machen.

Manchmal wurden Schüler sogar vom Unterricht ausgeschlossen und vor die Klassentür gestellt. 

Es war auch üblich, Schüler auf dem Schulhof oder im Unterricht mit einer Backpfeife zu disziplinieren.

Viele meiner Klassenkameraden hatten vor Angst in die Hose gemacht und wurden danach von den anderen gehänselt.

Auch war es sehr schwierig, den Lehrern zu erklären, dass man auf die Toilette musste.


Diese verstanden noch nicht, dass eine Kinderblase anders funktioniert als die eines Erwachsenen.

 

Die Schulzeit in den 1950er Jahren war geprägt von Strenge, Disziplin und manchmal auch von Angst. 

Es war eine Zeit, die wir nie vergessen werden, auch wenn sich die Zeiten seitdem stark verändert haben.

Aber es gab auch Lichtblicke!

Im Verlauf meiner Schulzeit trat eine neue Generation von Lehrkräften auf den Plan, die völlig neue Unterrichtskonzepte einführte und sich besonders empathisch gegenüber uns Schülern zeigte. 

Wir waren dankbar für jeden dieser neuen Lehrerinnen und Lehrer; sie brachten frischen Wind in die verkrusteten Vorstellungen der alten Lehrkräfte, die teilweise noch aus den Kriegsjahren stammten.

Der „große Wäsche“ Waschtag

Alle zwei Wochen, meistens donnerstags, war ein Tag für die „große Wäsche“ vorgesehen.

Fast einen halben Tag lang hielten wir uns sozusagen nur in der Waschküche auf.

Da sich über die letzten 14 Tage die getragene Wäsche der ganzen 6-köpfigen Familie zu einem großen und bunten Berg aufgetürmt hatte, musste nun auf jeden Fall gewaschen werden.

Dieser Tag war für unsere Mutter ein rotes Tuch, denn das war mit viel Strapaze und Mühe verbunden.

Da meine Mutter allemal ein sehr emotionaler Mensch war und sie ihre schlechte Laune nur sehr schlecht verbergen konnte, war für uns Kindern an diesem Tag äußerste Achtsamkeit prophezeit.

Wir wussten genau, dass die Laune unserer Mutter auf dem Nullpunkt ist und sie jede falsche Bemerkung regelrecht explodieren lassen könnte.

So waren wir unaufhörlich bemüht, sie tatkräftig und ohne Murren zu unterstützen.

Die wilden Müllplätze in den Nachkriegsjahren

 

Als Kind sind mir die vielen kleinen Müllkippen in unserer Stadt aufgefallen.

An allen möglichen Stellen befanden sich kleine Müllberge.

Infolge der Not, die in den ersten Nachkriegsjahren herrschte, wurde meistens alles noch irgendwie brauchbare Material wiederverwertet.

Dennoch wurde von den Menschen große Mengen an Müll in die noch aus dem Boden klaffenden Kellern der Kriegsruinen geworfen.

Auch Bombenkrater, die inzwischen von Gebüsch umsäumt waren, wurden zum Entsorgen des Mülls genutzt.

Ich erinnere mich noch genau, dass in jener Zeit noch der sogenannte Lumpensammler unterwegs war.

Mit einer „Schelle“ laut klingelnd und vor seinem Tempo langsam vorneweg schlendernd rief er laut:

“Lumpen, Alteisen, Papier“.

Auch so wurde damals der Müll eingesammelt. Jedenfalls alles, was verwertbar war.

Das hatte viele Vorteile.

Die Bürger bekamen, je nach Gewicht der Ware, etwas Geld, der Müll war entsorgt und er wurde recycelt.

Der Aufbau einer modernen Müllabfuhr für Haushaltsabfälle stand in den ersten Nachkriegsjahren selbst in den Städten nicht im Vordergrund.

Der Wiederaufbau war oberstes Gebot und was mit dem Restmüll geschah, war völlig unerheblich. Hauptsache, er war aus den Augen.

Bei meiner Oma auf dem Land war alles etwas anders.

Dort produzierten die Privathaushalte kaum Müll, denn Essensreste fraß das Viehzeug, die Asche aus dem Ofen kam als Dünger auf das Gartenbeet und Feld.

Man reparierte alles und so entstand nur sehr wenig Müll.

Dennoch entstanden auch hier kleine Müllkippen außerhalb der Ortschaften.

Wenn doch Müll entstand, wurde der Müll außerhalb des Ortes einfach so abgelegt.

Das waren oftmals kleine Steinbrüche, Erdgruben oder sonstige Freiflächen.

Aber es gab einen großen Unterschied zur städtischen Müllentsorgung.

Der Müll wurde in Beutel und Pappkisten gepackt und einfach weggeworfen. Eine organisierte Müllabfuhr gab es noch nicht.

In der Stadt wurden weniger die Außenbezirke benutzt, um den Müll zu entsorgen.

So konnte man oftmals auf irgendwelchen Plätzen wilder Wiesen eine Anhäufung Müll finden.

Es wurde restlos alles genutzt, um den Hausmüll zu entsorgen.

Das war völlig normal und kein Bürger machte sich im allergeringsten Gedanken darüber, dass durch das stete Ablegen von Müll irgendwelche Umweltschäden entstehen könnten.

Hatte erst einmal jemand seinen Müll an irgendeiner Stelle abgeladen, so wurde es bald von Tag zu Tag mehr.

Es war auch durchaus alltäglich, den Restmüll eines Abbruchhauses zum Auffüllen der noch überall gegenwärtigen Bombentrichter zu nehmen.

Durch die Kriegsschäden war sehr viel Schrott entstanden und man wusste nicht so recht, wie man alles entsorgen sollte.

Aus den Trümmern ragten noch die alten Bleiwasserleitungen, die Elektroleitungen und Heizkörper heraus.

Diese wurden einfach mit einem Bagger gegriffen und in eine nahestehende Grube hineingeworfen.

So sind riesige Mengen an Metallschrott und anderen wertvollen Rohstoffen einfach verbuddelt worden.

Die Menschen waren damit beschäftigt, aufzuräumen.

Die Ressourcen zum Wiederaufbau waren zwar knapp, aber, um sich Platz zu schaffen, hat man alles zunächst einmal zur Seite geschoben und dann weggeworfen.

Eine große Ausnahme bildeten die Backsteine. Diese wurden feinsäuberlich aus den Trümmern geborgen und von Dreck und Mörtel gereinigt.

Berge dieser gereinigten Backsteine fand man aufgestapelt an den Straßenrändern.

Sie wurden zum Wiederaufbau der neuen Gebäude benötigt.

Ich habe noch genau in Erinnerung, dass Fahrzeuge, die wertlos waren, einfach irgendwo abgestellt worden sind.

Das konnte sogar mitten auf der Wiese sein.

Man war sogar zu bequem, das Kennzeichen abzumontieren.

Sie waren defekt und nicht mehr verkehrstüchtig und man entledigte sich ihrer auf diese einfache Art.
Dies Form der Entsorgung war zwar schon damals nicht gestattet, aber es wurde auch nichts dagegen unternommen.

Es gab keinerlei offizielle strafrechtliche Konsequenzen und es war in der damaligen Zeit auch nichts Befremdetes, dass diese Fahrzeuge irgendwo vor sich hin verrotteten.

Für uns Kinder waren diese Fahrzeuge ein ideales Spielzeug. Wir schlachteten sie aus, benutzten alle Teile, die irgendwie zu demontieren waren, um damit zu spielen.

Die Räder waren dabei besonders erstrebenswert.

Wir schraubten sie ab, stellten sie auf und rollten sie längs der Straße entlang.


Sobald die Räder langsamer wurden, schubsten wir sie mit einem Stock wieder an. Das macht uns einen riesigen Spaß.

Oftmals war noch der Zündschlüssel im Auto. Wenn das Auto nicht ganz defekt war, so ließen wir es an und fuhren mit ihm auf der Wiese im Kreis herum.

Der Umzug in den Vorort Gonsenheim brachte eine ganz andere Sachlage.

Dort war man mit der Müllbeseitigung ganz andere Wege gegangen.

Am Waldrand hatte die französische Besatzungsmacht einige Schießstände eingerichtet.

Sie erstreckten sich quer von der Straße aus einige 100 m in den Wald hinein.

Die einzelnen Schießstände waren einige Meter ausgehoben und durch Sicherungswälle voneinander getrennt.

So lagen vier parallel nebeneinander liegende Schießplätze.

Sie alle hatten eine ungefähre Breite von 50 m.

Nachdem die französische Besatzung sich zurückgezogen hatte und stattdessen die Amerikaner in Gonsenheim eingetroffen waren, waren diese zu schmalen Schießstände nicht mehr brauchbar.

Auf den Wällen hatte man Bäume und Buschwerk gepflanzt.

Nachdem die Schießstände nun nicht mehr genutzt wurden, wucherten die Bäume und Büsche wild und bedeckten bald das ganze Gelände.

Es wurde für uns Kinder unser kleiner Urwald. Dort bauten wir Höhlchen aus Buschwerk und Ästen, kletterten an herunterhängenden Lianen hoch oder zerschnitten sie in 10cm große Stücke, um sie dann wie Zigarren zu rauchen.

Ein Paradies für uns Kinder, aber ebenso für Liebespaare, die ein verstecktes und romantisches Fleckchen suchten!

Den ersten der stillgelegten Schießstände nutzten die Gonsenheimer, um sich dort ganz offiziös von ihrem Müll befreien. Dort war fortan die Gonsenheimer Müllkippe.

Da nicht nur Gonsenheimer Bürger in Müll dort ablegten, sondern auch einige der amerikanischen Militärangehörigen, war das Durchwühlen des Mülls für uns Kinder recht spannend.

Im Gegensatz zu den Deutschen, deren Müll ohne Frage nichts mehr wert war, warfen die Amerikaner auch nützliche Gegenstände weg.

Dies war insbesondere der Fall, wenn sie ihren Hausstand auflösen mussten, weil sie wieder zurück in die Heimat versetzt wurden.

So durchforschten wir Kinder jedes Mal diese Müllkippe, immer auf der Suche nach etwas Lohnendem.

Neben weggeworfenem Hausrat entdeckten wir auch gelegentlich noch verschlossene Konserven.

Die amerikanische Besatzung war außerordentlich gut versorgt und verfügte über erstklassige Nahrungsmittel in Konserven. Das warfen sie einfach bei der Auflösung ihrer deutschen Wohnung in den Müll, der just auf dieser Müllkippe gelandet war.

Häufig waren es große 2 l Dosen. Deren Inhalt waren vorwiegend Truthahn, Cornedbeef, Würstchen,

Maiskolben und Obst.

Aber auch Taschenmesser entdeckten wir.

Eines Tages fand ich, zusammen mit meinem Freund Harald, ein großes Fleischermesser mit einer großen Fleischgabel. Ein wahrer Schatz!

Aber der Streit zwischen uns beiden war unvermeidlich, denn sofort tat sich die Frage auf, wer von uns beiden diesen Schatz zuerst gesehen und gefunden hatte.

Klare Sache, der Stärkere und das war ich. Da gab es auch keine Diskussion mehr. Wir sind uns zwei Wochen aus dem Weg gegangen und dann war alles wieder gut.

Der nächste Fund gehörte Harald, das war Ehrensache! Leider haben wir so einen Schatz nicht mehr gefunden, aber dafür konnte ich ja nichts!

So gab es zwischen uns Kindern oft Kontroversen, denn die Zeit war rau und die Freundschaft hielt immer nur so lange, wie es zu keinen größeren Konflikten kam.

Auf dieser Müllkippe wurde wirklich alles entsorgt.

So wurden große Verpackungskartons, gefüllt mit Restmüll, bedenkenlos auf den Müll geworfen. Gartenabfälle, Gemüseabfälle, Fleischabfälle, Sperrmüll, Dreck, Reifen, alte Kühlschränke, alte Waschbecken, Badewannen, Toilettenschüsseln, Plastikmüll, Koffer, Polstermöbel, Unmengen davon türmten sich dort aufeinander.
Bei ungünstigem Wind verbreitete sich der beißende und typische Gestank dieser kleinen Müllkippe über den ganzen Ort, aber niemand störte sich daran. Das war eben so.

Der Müllberg wurde immer höher und deshalb fuhr regelmäßig ein Beschäftigter des städtischen Betriebes mit einer Raupe über den Müllberg, um ihn zu verdichten.

So fand ich mit meinem Freund Harald damals in einer großen Verpackungskiste die Leiche eines Neugeborenen.

Es war für uns Kinder natürlich ein Schock. Auch wenn wir die Polizei sofort verständigt hatten, so ging mir der Anblick dieser kleinen Leiche noch lange nach und ich träumte oft davon.

Interessanterweise gab es in den sechziger Jahren bereits überall Mülltonnen. Es wurde allerdings kein Müll getrennt. In diese Mülltonnen kam alles rein.

Es waren schwere, dunkelgraue Metalltonnen. Sie hatten mitten auf dem Deckel eine tassenförmige Ausbuchtung.


Damit konnte der Müllmann die ganze Tonne schräg stellen, fasste mit einem Lederhandschuh diese Ausbuchtung und rollte mit einem großen Schwung die Mülltonne an das hintere Ende des Müllautos.

Dort griffen zwei schwere Metallarme unter lautem Zischen die Mülltonne und hob sie zum Entleeren an.

Der Chef-Müllmann bewegte nun einen langen Hebel und setzte damit eine Hydraulik in Gang, welche die ganze Mülltonne unter einem Höllenlärm so wild und stoßweise durchschüttelte, bis diese komplett entleert war.

Dann ließ er sie wieder ab und ein anderer Müllmann rollte sie zurück an die dafür vorgesehene Stelle.

Die Müllautos waren damals noch recht einfach und konnten nur eine sehr begrenzte Menge Müll fassen. Der Rest blieb einfach liegen, man müsste bis zur nächsten Leerung warten.

Die eigentliche Mülltrennung kam erst wesentlich später.

Die Müllkippe in Gonsenheim wurde Ende der sechziger Jahre aufgelöst. So langsam wurde in den Bürgern das Bewusstsein zur Umwelt geweckt.

Heute ist auf diesem ehemaligen Müllplatz ein Abenteuerspielplatz installiert.

Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob der mit Müll kontaminierte Boden darunter wirklich saniert worden ist.

Erinnerungen an den Gonsenheimer Wald

 Für meine Familie stand mein Elternhaus in sehr angenehmer Nähe zum Wald.

Dem Wald vorgelagert befand sich das Sportfeld inclusive eines kleinen Fußballplatzes.

Seitlich, entlang dem Sportfeld, schloss sich ein kleines Tiergehege an, der Tierpark.

Damals war alles noch eine verhältnismäßig offene Umzäunung.

So war der Sportplatz nur stückweise von einem kleinen Maschenzaun umgeben. Der Tierpark selbst hatte bloß einen beklagenswerten Jägerzaun.

Nur an den Orten, an denen sich das Rotwild aufhielt, befand sich ein niedriger, rostiger Maschenzaun, oben mit einem Stacheldraht geschützt.

So war für uns Kinder, sowohl der Zaun des Sportplatzes als auch des Tierparkes leicht überwindbar.

Das Spielen auf dem Sportplatz war selbstverständlich erlaubt.

Der Zaun war eigentlich nur für die Sonntagspiele bezweckt, denn dann sollte der Platz nicht ohne Bezahlung betreten werden können.

Der Sportplatz war umgeben von vielen Hecken, dichtem Gebüsch und hohem Gras.

Dort fanden die Vögel des benachbarten Tierparks ideale Nistplätze.

Uns Kindern machte es große Freude, die Nester und Gehege dieser Vögel und Kleintiere aufzusuchen, zu beobachten und zu verfolgen, wie die Jungtiere sich entwickelten.

Der benachbarte Tierpark war für uns Kinder zweifellos noch interessanter als dieser wilde Saum des Sportplatzes.

Mühelos konnten wir den Zaun zum Wildpark überwinden.

Dann befanden wir uns dann unvermittelt mitten in dem Gehege zwischen den Rehen und Pfauen.

Unser Hauptinteresse galt den großen Federn der Pfaue, die sie auf dem Gelände verloren hatten.

Einem Pfau eines der schönen Federn auszurupfen getrauten wir uns bei diesen großen und imposanten Tieren nicht.

Aber wir hätten es wohl gerne getan! Haben sich diese Federn doch ideal als Indianerschmuck geeignet!

Zum damaligen Zeitpunkt gab es noch kein Wildschweingehege und auch das Revier für die Steinböcke war noch nicht angelegt.

Der Tierpark bestand lediglich aus einem kleinen Bestand aus Rotwild, ein paar Schildkröten, Meerschweinchen, Füchse, Luchse und viel Federvieh.

Auch für ein paar Enten hatte man einen kleinen gepflegten Teich angelegt.

So gingen wir Buben dem Förster und Tierpfleger ab und zu zur Hand und halfen ihm, die Gehwege aufzuräumen und die Tiere zu füttern.

Wir leerten die Behälter, die am Zaun des Tierparks befestigt waren. Dort konnten die Bürger mit Altbrot und Grünabfällen den Wildpark unterstützen.

Als später zu viel verschimmeltes Brot und verdorbene Grünabfälle in den Behältern landete, wurden die Behälter entfernt und stattdessen Futterautomaten installiert.

Erst später, in den siebziger Jahren, wurde das Gehege erweitert und um verschiedene Tierarten ergänzt.

Im Zuge dieser Maßnahmen wurde auch ein stabiler und hoher Zaun angebracht, denn die Zeiten hatten sich geändert und man musste die Tiere vor Gewaltattacken schützen.

Von nun an wurde auch abgestimmtes Trockenfutter in kleinen Papierkartons an einem Futterautomaten ausgegeben.

Das war wichtig, denn der Tierpark wurde im Laufe der Jahre zunehmend mehr durch Familien und Menschenmassen bevölkert.

Durch ungeeignetes Futter verendete damals so manches Tier qualvoll.

Der Tierpark war allerdings immer ein Anziehungspunkt für die Mainzer Bevölkerung. Darauf waren die Gonsenheimer Bürger sehr stolz.

Er war die Attraktion und das Ausflugziel schlechthin.

Mit dem, sich nach Norden anschließenden kleinen Wald, ist er einer der wertvollsten Bereiche für die Mainzer Bevölkerung.

Zum damaligen Zeitpunkt war es für mich sehr wertvoll, mich in diesen kleinen Wald zurückziehen zu können.

Dort habe ich mich mit meinen Freunden getroffen, kleine Höhlchen gebaut, auf Bäumen gesessen, Geschichten erzählt, den Vögeln und Eichhörnchen zugeschaut.
Besonders oft war ich dort mit meinem Klassenkammeraden Dirk.

Er wohnte im alten Ortskern unseres Ortes, dort in einem hübschen, kleinen Bauernhäuschen, das gegenüber der katholichen Kirche (St. Stephan/Rheinhessen Dom) völlig idyllisch und kuschelig eingebettet war.
Mit Dirk habe ich sehr viele Abenteuer erlebt, er entsprach meiner damaligen Lebensweise.

Obwohl wir aus sehr unterschiedlichen Familien stammten, haben wir begriffen, dass wir viele Interessen gemeinsam teilen konnten. 

Wir handelten oft wie Brüder und fühlten auch manchmal so. 

Später haben wir uns aus den Augen verlohren, jeder hat sich anders entwickelt und eine andere berufliche Laufbahn eingeschlagen.

Knifflig war es nur, in den Wald zu gelangen.

Eine der wenigen direkten Zugänge zum Wald führte über einen kleinen Weg, der sich zwischen dem Sportfeld und dem Tierpark befand.

Am Ende des Weges war eine Sportgaststätte. Dieser schloss sich, nicht gleich ersichtlich, seitlich eine Barackensiedlung an.

War man an der Sportgaststätte vorbeigelaufen, befand man sich bereits mitten im Territorium der Barackengemeinschaft.

Die Kinder, die dort lebten, waren sehr verwildert und streitsüchtig.

Diese betrachteten den Durchgang zum Wald und den sich anschließenden Wald als ihr Eigentum.

So verweigerten sie uns mit allen Mitteln am Zugang zum Wald. Dabei setzten sie alle Mittel ein, die ihnen zu Verfügung standen und verfolgten andere Kinder noch weit in den Wald hinein.

Hatten sie eines der Kinder erwischt, so vermöbelten sie es brutal mit Stöcken und Dachlatten. 

Also, alles in allem, eine nicht ungefährliche Angelegenheit.

Deshalb waren wir Kinder darauf angewiesen, uns teilweise irgendwelchen Erwachsenen anzuschließen, die auch einen Spaziergang durch den Wald oder hin zur Waldkapelle unternahmen. 

In deren Begleitung waren wir vor dem Zugriff und den Schlägen dieser Barackenkinder sicher.

Später ging ich mit meinem Schäferhund in den Wald, da griff mich niemand an!

Falls sich keine Möglichkeit ergab, unbehelligt an den Barackenkindern vorbeizukommen, mussten wir andere Umwege in Kauf nehmen, um uns heimlich vorbeizuschleichen.

So waren wir auch gezwungen, den Rückweg mit einzuplanen. Auch das gelang meistens nur über einen Umweg.

Auf die Eltern der Barackenkindern war auch kein Verlass!

Sie waren durch den übermäßigen Alkoholgenuss meist auch sehr aggressiv und beschimpften uns lallend schon von weitem.

Es war ein sozialer Brennpunkt, der später Gott sei Dank aufgelöst wurde.

Die früheren Barackenkinder sind allesamt ordentliche und nette Mitbürger geworden.

So war es damals eben, es waren die Nachkriegsjahre, rau und voller Abendteuer.

Als Kind teilte ich für mich selbst den Wald in drei Hauptgebiete.

Das erste Gebiet begann an der Waldkapelle, am Fuße des Waldes.

Dicht bei der Kapelle gab es eine kleine,  runde Schutzhütte aus Holz. Liebevoll nannten die Gonsenheimer diese Hütte "Pilz" .
Den Namen bekam sie wohl, weil ihr Aussehen deutlich einem Pilz ähnelte.
Diese Schutzhütte war Treffpunk der Jugendlichen, die sich in den Abendstunden mit Kofferradio bewaffnet, dort trafen. 

Es war ein Eldorado für die "Jungverliebten" und so waren die dicken Holzbalken übersäht mit eingeritzten Herzchen, Datum und Nahmen.

Leider wurde der "Pilz" in den 90 ern abgerissen. In der Zwischenzeit wurde an dessen Stelle, am gleichen Platz eine andere Schutzhütte aufgestellt, alledings fehlen die vielen eingeschnitzten Erinnerungen an die schönen Jahre der Vergangenheit, Schade drum!

Dort habe ich auch später meine liebe Frau geheiratet.

Damals durchkreuzte noch keine Autobahn den Wald.

So konnten wir Kinder mühelos in das ganze zusammenhängende Gelände des Waldes gefahrlos eindringen.

Das zweite Gebiet meiner persönlichen Waldeinteilung war der Teil, der sich vor dem kleinen Berg, dem „Lenneberg“ befand.

Es war eine recht hügelige Landschaft mit lichtem Laub-und Kieferbestand.

Auf diesen kleinen Kuppen konnten wir gut Fußball spielen, es wuchs dort viel Moos und die Bäume ließen himmlisch das Sonnenlicht durch.

Im Sommer war dieses Gebiet für uns ein richtiger Märchenwald.

Auf dem Lenneberg selbst stand ein gemauerter Aussichtsturm. Wir nannten ihn Hexenturm.

Man konnte ihn betreten, musste allerdings zehn Pfennige Eintritt bezahlen.

Dann führte eine steinerne, sehr schmale und steile Wendeltreppe nach oben auf die Turmplattform. Dort hatte man einen beeindruckenden Ausblick bis in die Ausläufer des Taunus auf der gegenüberliegenden Rheinseite.

Auch ein kleines altes Café befand sich auf der Kuppe des Lenneberges.

Es war wohl ein früheres Jagdhaus, umgebaut zu einem Waldrestaurant mit Café. Dazu war noch eine große Außenterrasse vorgelagert.

Es war eines der meistbesuchten Ausflugsziele der Gonsenheimer und Mainzer Bevölkerung.

Wochentags war dieses Gebiet unser Terrain, wo wir uns fast täglich aufhielten.

Dort spielten wir Indianer und Cowboy, Räuber und Gendarm, Blinde Kuh, Verstecke dich, nachlaufen, Ballspiele und viele andere Spiele.

Der Fantasie waren keine Grenzen gesetzt.

An der westlichen Seite des Waldes schloss sich ein Truppenübungsgelände der Amerikaner an.

Das Gelände war bedeutend und hatte den Namen „großer Sand“.

Dieser Name machte dem Gelände alle Ehre. Es schmiegte sich dem eigentlichen Wald wie eine große Sanddüne an.

Man konnte tatsächlich noch kleine Muschelreste aus der vergangenen Eiszeit entdecken.

Charakteristisch waren der trockene, sandige Boden sowie eine hohe Bodentemperatur.

Dadurch waren hier vornehmlich Kiefern und Eichen.

Ich lag dort oft unter einer Eiche und las in meinen Abenteuerbüchern. 

Es war immer eine stille und gemütliche Stimmung, die Luft roch zart nach Harz und manchmal bin ich unter solch einem Baum einfach eingeschlafen.

Damals wurde dieses wertvolle Gebiet als Truppenübungsplatz von den Amerikanern genutzt.

Es war von tiefen Gräben, Furchen, Schützengräben und Panzerspuren tief gekennzeichnet.   

Allerdings ließen die amerikanischen Truppen, wohl in Kenntnis der wertvollen Fauna und Flora, einige Abschnitte des Gebietes unberührt.

Die amerikanischen Soldaten bauten auch kleine, in Erdhaufen versteckte massive Holzverschläge. Es waren kleine Blockhütten, versteckt in aufgehäuften Erdhügeln.

Zunächst hatten sie hierzu mittels massiver Holzpalisaden eine Flachbauhütte mit Dacheinstieg erstellt.

Nachdem die Hütte errichtet war, wurde sie mit großen Schaufelbaggern zugeschüttet und so entstand ein kleiner Erdhügel, der sich im Laufe der Zeit in die Landschaft völlig eingepasst hat.

In die Holzverschläge konnte man nur von oben, also über das Dach, mittels einer Luke einsteigen. Es war nicht möglich, diese Luke zu bemerken, denn sie war mit Erde und Gras abgedeckt.

Zur Kennzeichnung dieser Eingangsmöglichkeit hatte man zwei Bäumchen links und rechts der Luke gepflanzt.

In den frühen sechziger Jahren haben die Amerikaner diese kleinen Holzverschläge nicht mehr genutzt und sie wurden von uns Buben in Beschlag genommen.

Wenn man über diese kleinen Holzverschläge Kenntnis hatte und an der Oberseite, zwischen den beiden Bäumchen, etwas in der Erde wühlte, ertastete man eine kurze Kette.

An dieser ließ sich der Eingang samt Platte und Erde öffnen.

Ein ideales Geheimversteck für uns Buben.

Nur ein sehr ausgesuchter Kreis meiner Kameraden wusste davon.

Wir fanden in den Holzverschlägen noch ein paar Hinterlassenschaften des amerikanischen Militärs.

Manchmal auch Waffen, aber in der Regel Petroleumlampen, Schlafsäcke, Tarnnetze.
Eben alles, was Jungs in diesem Alter auch bestens gebrauchen konnten.

Heute ist das ganze Gebiet wieder ein wertvolles Biotop und Naturschutzgebiet mit seltener und einzigartiger Fauna und Flora.

Ich denke aber, so mancher Erdhügel, sofern er nicht zwischenzeitlich zusammengebrochen ist, verbirgt heute noch das Geheimnis eines versteckten Holzverschlages.

Dieser kleine Wald war für uns Kinder der Knotenpunkt zum Abenteuer spielen.

Die meisten von uns hielten sich den ganzen Tag in diesem Wald auf.

Bedenken mussten wir nicht haben. Damals gab es noch eine berittene Polizei.

Sie war allgegenwärtig präsent und erschien oftmals unvermittelt mitten im Wald.

Das gab uns Sicherheit und die Polizisten mit ihren ruhigen und großen Tieren waren immer sehr freundlich und hilfsbereit.

Ich kann mich an keinen Fall erinnern, der uns Kinder irgendwie in Gefahr gebracht hätte.

Unser Spielen in diesem Wald wurde von den Erwachsenen, von den amerikanischen Soldaten und von dem Förster akzeptiert und toleriert.

Im Winter war dieser Wald wie verzaubert. Die kleinen Hügel waren schneebedeckt.

Sie waren wie geschaffen zum Rodeln.

Auch die Abfahrt von der Kuppe des Lenneberges aus war etwas Besonderes und nur den mutigen Profirodlern vorbehalten.

Erst wesentlich später wurde das Flair dieses Waldes massiv durch die Autobahn zerstört.

Die Autobahn schnitt grausam eine tiefe Wunde mitten durch den Wald.

Er war nachfolgend nicht mehr das, was er war.

Auch die Verbindungsbrücken brachten die Ursprünglichkeit und die Seele des Waldes nicht mehr zurück.

Er war vernichtet und heute sind nur noch die Überreste der ehemaligen Atmosphäre zu erspüren.

Den Gonsenheimern ist still und heimlich ein Stück Lebenselixier genommen worden. 

Erst viel später haben sie den Verlust realisiert.

Es gibt vieles zu erzählen über diesen Wald, über seine Entwicklung und seine Vergangenheit, über seine Nähe zu anderen Ortsteilen wie Budenheim, Mombach, Schlosss Waldthausen.

Überall gab es dort erwähnenswerte Berührungspunkte, an denen wir Kinder uns gerne aufhielten.

Diese Orte hatten alle ihre eigene Beschaffenheit inne.

So endete der Wald östlich vor dem Ortsteil Mombach, direkt an einem imposanten Steinbruch, wo damals noch aktiv mittels Dynamit gesprengt wurde. 

Für uns Kinder, trotz aller Warnungen, ein Anziehungspunkt.

Nördlich davon konnte man in die Felder in Richtung der Budenheimer Gemarkung gehen, vorbei an Obstfelder, etwas durch den kleinen Ort direkt zum Rhein. 

Dort wartete die Rheingaststätte Onkel Heine mit einem leckeren Eis.

Östlich zog sich der Wald von der Wendelinus Kapelle über viele Kilometer bis nach Bingen.

Dabei berührte er Schlösser (Schloss Waldthausen), Quellen, kleinere Ortschaften bis an den Rand des Hunsrücks.

Mit den Fahrrädern fuhren wir Jugendliche oft durch diese wunderschöne Landschaft, am Saum des Waldes entlang dem Rhein.

Wir kamen dabei überall hin und erkundeten so unsere nächste Umgebung.

So machten wir mit den Fahrrädern unsere Tagesausflüge, durchquerten das wunderbare Fischerdorf Uhlerborn, Heidenfahrt, Heidesheim, die Weinstadt Ingelheim bis nach Bingen.

Dieser Gonsenheimer Wald, der eigentlich nur zu einem ganz kleinen Teil zu Gonsenheim gehört, bewegt mich noch heute, versinnbildlicht meine Urheimat und verbirgt tiefe Erinnerungen an meine Kindheit und Jugend.

Gemeinsam mit meinen Eltern, meiner Schwester, meinen Freunden und unserem Familienhund, dem Schäferhund Cliff prägt dieser Wald viele meiner Erinnerungen.