Surfen in der Vergangenheit

Wie zarte Fenster in die Vergangenheit lassen Erinnerungen das Licht der Erlebnisse in unsere Seele fließen, während die Zeit unaufhaltsam voranschreitet und die Erinnerungen im Glanz der Unvergänglichkeit erstrahlen lässt.

Die wilden Müllplätze in den Nachkriegsjahren

 

Als Kind sind mir die vielen kleinen Müllkippen in unserer Stadt aufgefallen.

An allen möglichen Stellen befanden sich kleine Müllberge.

Infolge der Not, die in den ersten Nachkriegsjahren herrschte, wurde meistens alles noch irgendwie brauchbare Material wiederverwertet.

Dennoch wurde von den Menschen große Mengen an Müll in die noch aus dem Boden klaffenden Kellern der Kriegsruinen geworfen.

Auch Bombenkrater, die inzwischen von Gebüsch umsäumt waren, wurden zum Entsorgen des Mülls genutzt.

Ich erinnere mich noch genau, dass in jener Zeit noch der sogenannte Lumpensammler unterwegs war.

Mit einer „Schelle“ laut klingelnd und vor seinem Tempo langsam vorneweg schlendernd rief er laut:

“Lumpen, Alteisen, Papier“.

Auch so wurde damals der Müll eingesammelt. Jedenfalls alles, was verwertbar war.

Das hatte viele Vorteile.

Die Bürger bekamen, je nach Gewicht der Ware, etwas Geld, der Müll war entsorgt und er wurde recycelt.

Der Aufbau einer modernen Müllabfuhr für Haushaltsabfälle stand in den ersten Nachkriegsjahren selbst in den Städten nicht im Vordergrund.

Der Wiederaufbau war oberstes Gebot und was mit dem Restmüll geschah, war völlig unerheblich. Hauptsache, er war aus den Augen.

Bei meiner Oma auf dem Land war alles etwas anders.

Dort produzierten die Privathaushalte kaum Müll, denn Essensreste fraß das Viehzeug, die Asche aus dem Ofen kam als Dünger auf das Gartenbeet und Feld.

Man reparierte alles und so entstand nur sehr wenig Müll.

Dennoch entstanden auch hier kleine Müllkippen außerhalb der Ortschaften.

Wenn doch Müll entstand, wurde der Müll außerhalb des Ortes einfach so abgelegt.

Das waren oftmals kleine Steinbrüche, Erdgruben oder sonstige Freiflächen.

Aber es gab einen großen Unterschied zur städtischen Müllentsorgung.

Der Müll wurde in Beutel und Pappkisten gepackt und einfach weggeworfen. Eine organisierte Müllabfuhr gab es noch nicht.

In der Stadt wurden weniger die Außenbezirke benutzt, um den Müll zu entsorgen.

So konnte man oftmals auf irgendwelchen Plätzen wilder Wiesen eine Anhäufung Müll finden.

Es wurde restlos alles genutzt, um den Hausmüll zu entsorgen.

Das war völlig normal und kein Bürger machte sich im allergeringsten Gedanken darüber, dass durch das stete Ablegen von Müll irgendwelche Umweltschäden entstehen könnten.

Hatte erst einmal jemand seinen Müll an irgendeiner Stelle abgeladen, so wurde es bald von Tag zu Tag mehr.

Es war auch durchaus alltäglich, den Restmüll eines Abbruchhauses zum Auffüllen der noch überall gegenwärtigen Bombentrichter zu nehmen.

Durch die Kriegsschäden war sehr viel Schrott entstanden und man wusste nicht so recht, wie man alles entsorgen sollte.

Aus den Trümmern ragten noch die alten Bleiwasserleitungen, die Elektroleitungen und Heizkörper heraus.

Diese wurden einfach mit einem Bagger gegriffen und in eine nahestehende Grube hineingeworfen.

So sind riesige Mengen an Metallschrott und anderen wertvollen Rohstoffen einfach verbuddelt worden.

Die Menschen waren damit beschäftigt, aufzuräumen.

Die Ressourcen zum Wiederaufbau waren zwar knapp, aber, um sich Platz zu schaffen, hat man alles zunächst einmal zur Seite geschoben und dann weggeworfen.

Eine große Ausnahme bildeten die Backsteine. Diese wurden feinsäuberlich aus den Trümmern geborgen und von Dreck und Mörtel gereinigt.

Berge dieser gereinigten Backsteine fand man aufgestapelt an den Straßenrändern.

Sie wurden zum Wiederaufbau der neuen Gebäude benötigt.

Ich habe noch genau in Erinnerung, dass Fahrzeuge, die wertlos waren, einfach irgendwo abgestellt worden sind.

Das konnte sogar mitten auf der Wiese sein.

Man war sogar zu bequem, das Kennzeichen abzumontieren.

Sie waren defekt und nicht mehr verkehrstüchtig und man entledigte sich ihrer auf diese einfache Art.
Dies Form der Entsorgung war zwar schon damals nicht gestattet, aber es wurde auch nichts dagegen unternommen.

Es gab keinerlei offizielle strafrechtliche Konsequenzen und es war in der damaligen Zeit auch nichts Befremdetes, dass diese Fahrzeuge irgendwo vor sich hin verrotteten.

Für uns Kinder waren diese Fahrzeuge ein ideales Spielzeug. Wir schlachteten sie aus, benutzten alle Teile, die irgendwie zu demontieren waren, um damit zu spielen.

Die Räder waren dabei besonders erstrebenswert.

Wir schraubten sie ab, stellten sie auf und rollten sie längs der Straße entlang.


Sobald die Räder langsamer wurden, schubsten wir sie mit einem Stock wieder an. Das macht uns einen riesigen Spaß.

Oftmals war noch der Zündschlüssel im Auto. Wenn das Auto nicht ganz defekt war, so ließen wir es an und fuhren mit ihm auf der Wiese im Kreis herum.

Der Umzug in den Vorort Gonsenheim brachte eine ganz andere Sachlage.

Dort war man mit der Müllbeseitigung ganz andere Wege gegangen.

Am Waldrand hatte die französische Besatzungsmacht einige Schießstände eingerichtet.

Sie erstreckten sich quer von der Straße aus einige 100 m in den Wald hinein.

Die einzelnen Schießstände waren einige Meter ausgehoben und durch Sicherungswälle voneinander getrennt.

So lagen vier parallel nebeneinander liegende Schießplätze.

Sie alle hatten eine ungefähre Breite von 50 m.

Nachdem die französische Besatzung sich zurückgezogen hatte und stattdessen die Amerikaner in Gonsenheim eingetroffen waren, waren diese zu schmalen Schießstände nicht mehr brauchbar.

Auf den Wällen hatte man Bäume und Buschwerk gepflanzt.

Nachdem die Schießstände nun nicht mehr genutzt wurden, wucherten die Bäume und Büsche wild und bedeckten bald das ganze Gelände.

Es wurde für uns Kinder unser kleiner Urwald. Dort bauten wir Höhlchen aus Buschwerk und Ästen, kletterten an herunterhängenden Lianen hoch oder zerschnitten sie in 10cm große Stücke, um sie dann wie Zigarren zu rauchen.

Ein Paradies für uns Kinder, aber ebenso für Liebespaare, die ein verstecktes und romantisches Fleckchen suchten!

Den ersten der stillgelegten Schießstände nutzten die Gonsenheimer, um sich dort ganz offiziös von ihrem Müll befreien. Dort war fortan die Gonsenheimer Müllkippe.

Da nicht nur Gonsenheimer Bürger in Müll dort ablegten, sondern auch einige der amerikanischen Militärangehörigen, war das Durchwühlen des Mülls für uns Kinder recht spannend.

Im Gegensatz zu den Deutschen, deren Müll ohne Frage nichts mehr wert war, warfen die Amerikaner auch nützliche Gegenstände weg.

Dies war insbesondere der Fall, wenn sie ihren Hausstand auflösen mussten, weil sie wieder zurück in die Heimat versetzt wurden.

So durchforschten wir Kinder jedes Mal diese Müllkippe, immer auf der Suche nach etwas Lohnendem.

Neben weggeworfenem Hausrat entdeckten wir auch gelegentlich noch verschlossene Konserven.

Die amerikanische Besatzung war außerordentlich gut versorgt und verfügte über erstklassige Nahrungsmittel in Konserven. Das warfen sie einfach bei der Auflösung ihrer deutschen Wohnung in den Müll, der just auf dieser Müllkippe gelandet war.

Häufig waren es große 2 l Dosen. Deren Inhalt waren vorwiegend Truthahn, Cornedbeef, Würstchen,

Maiskolben und Obst.

Aber auch Taschenmesser entdeckten wir.

Eines Tages fand ich, zusammen mit meinem Freund Harald, ein großes Fleischermesser mit einer großen Fleischgabel. Ein wahrer Schatz!

Aber der Streit zwischen uns beiden war unvermeidlich, denn sofort tat sich die Frage auf, wer von uns beiden diesen Schatz zuerst gesehen und gefunden hatte.

Klare Sache, der Stärkere und das war ich. Da gab es auch keine Diskussion mehr. Wir sind uns zwei Wochen aus dem Weg gegangen und dann war alles wieder gut.

Der nächste Fund gehörte Harald, das war Ehrensache! Leider haben wir so einen Schatz nicht mehr gefunden, aber dafür konnte ich ja nichts!

So gab es zwischen uns Kindern oft Kontroversen, denn die Zeit war rau und die Freundschaft hielt immer nur so lange, wie es zu keinen größeren Konflikten kam.

Auf dieser Müllkippe wurde wirklich alles entsorgt.

So wurden große Verpackungskartons, gefüllt mit Restmüll, bedenkenlos auf den Müll geworfen. Gartenabfälle, Gemüseabfälle, Fleischabfälle, Sperrmüll, Dreck, Reifen, alte Kühlschränke, alte Waschbecken, Badewannen, Toilettenschüsseln, Plastikmüll, Koffer, Polstermöbel, Unmengen davon türmten sich dort aufeinander.
Bei ungünstigem Wind verbreitete sich der beißende und typische Gestank dieser kleinen Müllkippe über den ganzen Ort, aber niemand störte sich daran. Das war eben so.

Der Müllberg wurde immer höher und deshalb fuhr regelmäßig ein Beschäftigter des städtischen Betriebes mit einer Raupe über den Müllberg, um ihn zu verdichten.

So fand ich mit meinem Freund Harald damals in einer großen Verpackungskiste die Leiche eines Neugeborenen.

Es war für uns Kinder natürlich ein Schock. Auch wenn wir die Polizei sofort verständigt hatten, so ging mir der Anblick dieser kleinen Leiche noch lange nach und ich träumte oft davon.

Interessanterweise gab es in den sechziger Jahren bereits überall Mülltonnen. Es wurde allerdings kein Müll getrennt. In diese Mülltonnen kam alles rein.

Es waren schwere, dunkelgraue Metalltonnen. Sie hatten mitten auf dem Deckel eine tassenförmige Ausbuchtung.


Damit konnte der Müllmann die ganze Tonne schräg stellen, fasste mit einem Lederhandschuh diese Ausbuchtung und rollte mit einem großen Schwung die Mülltonne an das hintere Ende des Müllautos.

Dort griffen zwei schwere Metallarme unter lautem Zischen die Mülltonne und hob sie zum Entleeren an.

Der Chef-Müllmann bewegte nun einen langen Hebel und setzte damit eine Hydraulik in Gang, welche die ganze Mülltonne unter einem Höllenlärm so wild und stoßweise durchschüttelte, bis diese komplett entleert war.

Dann ließ er sie wieder ab und ein anderer Müllmann rollte sie zurück an die dafür vorgesehene Stelle.

Die Müllautos waren damals noch recht einfach und konnten nur eine sehr begrenzte Menge Müll fassen. Der Rest blieb einfach liegen, man müsste bis zur nächsten Leerung warten.

Die eigentliche Mülltrennung kam erst wesentlich später.

Die Müllkippe in Gonsenheim wurde Ende der sechziger Jahre aufgelöst. So langsam wurde in den Bürgern das Bewusstsein zur Umwelt geweckt.

Heute ist auf diesem ehemaligen Müllplatz ein Abenteuerspielplatz installiert.

Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob der mit Müll kontaminierte Boden darunter wirklich saniert worden ist.