Für meine Familie stand mein Elternhaus in sehr angenehmer Nähe zum Wald.
Dem Wald vorgelagert befand sich das Sportfeld inclusive eines kleinen Fußballplatzes.
Seitlich, entlang dem Sportfeld, schloss sich ein kleines Tiergehege an, der Tierpark.
Damals war alles noch eine verhältnismäßig offene Umzäunung.
So war der Sportplatz nur stückweise von einem kleinen Maschenzaun umgeben. Der Tierpark selbst hatte bloß einen beklagenswerten Jägerzaun.
Nur an den Orten, an denen sich das Rotwild aufhielt, befand sich ein niedriger, rostiger Maschenzaun, oben mit einem Stacheldraht geschützt.
So war für uns Kinder, sowohl der Zaun des Sportplatzes als auch des Tierparkes leicht überwindbar.
Das Spielen auf dem Sportplatz war selbstverständlich erlaubt.
Der Zaun war eigentlich nur für die Sonntagspiele bezweckt, denn dann sollte der Platz nicht ohne Bezahlung betreten werden können.
Der Sportplatz war umgeben von vielen Hecken, dichtem Gebüsch und hohem Gras.
Dort fanden die Vögel des benachbarten Tierparks ideale Nistplätze.
Uns Kindern machte es große Freude, die Nester und Gehege dieser Vögel und Kleintiere aufzusuchen, zu beobachten und zu verfolgen, wie die Jungtiere sich entwickelten.
Der benachbarte Tierpark war für uns Kinder zweifellos noch interessanter als dieser wilde Saum des Sportplatzes.
Mühelos konnten wir den Zaun zum Wildpark überwinden.
Dann befanden wir uns dann unvermittelt mitten in dem Gehege zwischen den Rehen und Pfauen.
Unser Hauptinteresse galt den großen Federn der Pfaue, die sie auf dem Gelände verloren hatten.
Einem Pfau eines der schönen Federn auszurupfen getrauten wir uns bei diesen großen und imposanten Tieren nicht.
Aber wir hätten es wohl gerne getan! Haben sich diese Federn doch ideal als Indianerschmuck geeignet!
Zum damaligen Zeitpunkt gab es noch kein Wildschweingehege und auch das Revier für die Steinböcke war noch nicht angelegt.
Der Tierpark bestand lediglich aus einem kleinen Bestand aus Rotwild, ein paar Schildkröten, Meerschweinchen, Füchse, Luchse und viel Federvieh.
Auch für ein paar Enten hatte man einen kleinen gepflegten Teich angelegt.
So gingen wir Buben dem Förster und Tierpfleger ab und zu zur Hand und halfen ihm, die Gehwege aufzuräumen und die Tiere zu füttern.
Wir leerten
die Behälter, die am Zaun des Tierparks befestigt waren. Dort konnten die
Bürger mit Altbrot und Grünabfällen den Wildpark unterstützen.
Als später zu viel verschimmeltes Brot und verdorbene Grünabfälle in den Behältern landete, wurden die Behälter entfernt und stattdessen Futterautomaten installiert.
Erst später, in den siebziger Jahren, wurde das Gehege erweitert und um verschiedene Tierarten ergänzt.
Im Zuge dieser Maßnahmen wurde auch ein stabiler und hoher Zaun angebracht, denn die Zeiten hatten sich geändert und man musste die Tiere vor Gewaltattacken schützen.
Von nun an wurde auch abgestimmtes Trockenfutter in kleinen Papierkartons an einem Futterautomaten ausgegeben.
Das war wichtig, denn der Tierpark wurde im Laufe der Jahre zunehmend mehr durch Familien und Menschenmassen bevölkert.
Durch ungeeignetes Futter verendete damals so manches Tier qualvoll.
Der Tierpark war allerdings immer ein Anziehungspunkt für die Mainzer Bevölkerung. Darauf waren die Gonsenheimer Bürger sehr stolz.
Er war die Attraktion und das Ausflugziel schlechthin.
Mit dem, sich nach Norden anschließenden kleinen Wald, ist er einer der wertvollsten Bereiche für die Mainzer Bevölkerung.
Zum damaligen Zeitpunkt war es für mich sehr wertvoll, mich in diesen kleinen Wald zurückziehen zu können.
Dort habe ich mich mit meinen Freunden getroffen, kleine Höhlchen gebaut, auf
Bäumen gesessen, Geschichten erzählt, den Vögeln und Eichhörnchen zugeschaut.
Besonders oft war ich dort mit meinem Klassenkammeraden Dirk.
Er wohnte im alten Ortskern unseres Ortes, dort in einem hübschen, kleinen Bauernhäuschen, das gegenüber der katholichen Kirche (St. Stephan/Rheinhessen Dom) völlig idyllisch und kuschelig eingebettet war.
Mit Dirk habe ich sehr viele Abenteuer erlebt, er entsprach meiner damaligen Lebensweise.
Obwohl wir aus sehr unterschiedlichen Familien stammten, haben wir begriffen, dass wir viele Interessen gemeinsam teilen konnten.
Wir handelten oft wie Brüder und fühlten auch manchmal so.
Später haben wir uns aus den Augen verlohren, jeder hat sich anders entwickelt und eine andere berufliche Laufbahn eingeschlagen.
Knifflig war es nur, in den Wald zu gelangen.
Eine der wenigen direkten Zugänge zum Wald führte über einen kleinen Weg, der sich zwischen dem Sportfeld und dem Tierpark befand.
Am Ende des
Weges war eine Sportgaststätte. Dieser schloss sich, nicht gleich ersichtlich, seitlich
eine Barackensiedlung an.
War man an der Sportgaststätte vorbeigelaufen, befand man sich bereits mitten im Territorium der Barackengemeinschaft.
Die Kinder, die dort lebten, waren sehr verwildert und streitsüchtig.
Diese betrachteten den Durchgang zum Wald und den sich anschließenden Wald als ihr Eigentum.
So verweigerten sie uns mit allen Mitteln am Zugang zum Wald. Dabei setzten sie alle Mittel ein, die ihnen zu Verfügung standen und verfolgten andere Kinder noch weit in den Wald hinein.
Hatten sie eines der Kinder erwischt, so vermöbelten sie es brutal mit Stöcken und Dachlatten.
Also, alles in allem, eine nicht ungefährliche Angelegenheit.
Deshalb waren wir Kinder darauf angewiesen, uns teilweise irgendwelchen Erwachsenen anzuschließen, die auch einen Spaziergang durch den Wald oder hin zur Waldkapelle unternahmen.
In deren Begleitung waren wir vor dem Zugriff und den Schlägen dieser Barackenkinder sicher.
Später ging ich mit meinem Schäferhund in den Wald, da griff mich niemand an!
Falls sich keine Möglichkeit ergab, unbehelligt an den Barackenkindern vorbeizukommen, mussten wir andere Umwege in Kauf nehmen, um uns heimlich vorbeizuschleichen.
So waren wir auch gezwungen, den Rückweg mit einzuplanen. Auch das gelang meistens nur über einen Umweg.
Auf die
Eltern der Barackenkindern war auch kein Verlass!
Sie waren durch den übermäßigen Alkoholgenuss meist auch sehr aggressiv und
beschimpften uns lallend schon von weitem.
Es war ein sozialer Brennpunkt, der später Gott sei Dank aufgelöst wurde.
Die früheren Barackenkinder sind allesamt ordentliche und nette Mitbürger geworden.
So war es damals eben, es waren die Nachkriegsjahre, rau und voller Abendteuer.
Als Kind teilte ich für mich selbst den Wald in drei Hauptgebiete.
Das erste Gebiet begann an der Waldkapelle, am Fuße des Waldes.
Dicht bei der Kapelle gab es eine kleine, runde Schutzhütte aus Holz. Liebevoll nannten die Gonsenheimer diese Hütte "Pilz" .
Den Namen bekam sie wohl, weil ihr Aussehen deutlich einem Pilz ähnelte.
Diese Schutzhütte war Treffpunk der Jugendlichen, die sich in den Abendstunden mit Kofferradio bewaffnet, dort trafen.
Es war ein Eldorado für die "Jungverliebten" und so waren die dicken Holzbalken übersäht mit eingeritzten Herzchen, Datum und Nahmen.
Leider wurde der "Pilz" in den 90 ern abgerissen. In der Zwischenzeit wurde an dessen Stelle, am gleichen Platz eine andere Schutzhütte aufgestellt, alledings fehlen die vielen eingeschnitzten Erinnerungen an die schönen Jahre der Vergangenheit, Schade drum!
Dort habe ich auch später meine liebe Frau geheiratet.
Damals durchkreuzte noch keine Autobahn den Wald.
So konnten wir Kinder mühelos in das ganze zusammenhängende Gelände des Waldes gefahrlos eindringen.
Das zweite Gebiet meiner persönlichen Waldeinteilung war der Teil, der sich vor dem kleinen Berg, dem „Lenneberg“ befand.
Es war eine recht hügelige Landschaft mit lichtem Laub-und Kieferbestand.
Auf diesen kleinen Kuppen konnten wir gut Fußball spielen, es wuchs dort viel Moos und die Bäume ließen himmlisch das Sonnenlicht durch.
Im Sommer war dieses Gebiet für uns ein richtiger Märchenwald.
Auf dem Lenneberg selbst stand ein gemauerter Aussichtsturm. Wir nannten ihn Hexenturm.
Man konnte ihn betreten, musste allerdings zehn Pfennige Eintritt bezahlen.
Dann führte eine steinerne, sehr schmale und steile Wendeltreppe nach oben auf die Turmplattform. Dort hatte man einen beeindruckenden Ausblick bis in die Ausläufer des Taunus auf der gegenüberliegenden Rheinseite.
Auch ein kleines altes Café befand sich auf der Kuppe des Lenneberges.
Es war wohl ein früheres Jagdhaus, umgebaut zu einem Waldrestaurant mit Café. Dazu war noch eine große Außenterrasse vorgelagert.
Es war eines der meistbesuchten Ausflugsziele der Gonsenheimer und Mainzer Bevölkerung.
Wochentags war dieses Gebiet unser Terrain, wo wir uns fast täglich aufhielten.
Dort spielten wir Indianer und Cowboy, Räuber und Gendarm, Blinde Kuh, Verstecke dich, nachlaufen, Ballspiele und viele andere Spiele.
Der Fantasie waren keine Grenzen gesetzt.
An der westlichen Seite des Waldes schloss sich ein Truppenübungsgelände der Amerikaner an.
Das Gelände war bedeutend und hatte den Namen „großer Sand“.
Dieser Name machte dem Gelände alle Ehre. Es schmiegte sich dem eigentlichen Wald wie eine große Sanddüne an.
Man konnte tatsächlich noch kleine Muschelreste aus der vergangenen Eiszeit entdecken.
Charakteristisch waren der trockene, sandige Boden sowie eine hohe Bodentemperatur.
Dadurch waren hier vornehmlich Kiefern und Eichen.
Ich lag dort oft unter einer Eiche und las in meinen Abenteuerbüchern.
Es war immer eine stille und gemütliche Stimmung, die Luft roch zart nach Harz und manchmal bin ich unter solch einem Baum einfach eingeschlafen.
Damals wurde dieses wertvolle Gebiet als Truppenübungsplatz von den Amerikanern genutzt.
Es war von tiefen Gräben, Furchen, Schützengräben und Panzerspuren tief gekennzeichnet.
Allerdings ließen die amerikanischen Truppen, wohl in Kenntnis der wertvollen Fauna und Flora, einige Abschnitte des Gebietes unberührt.
Die amerikanischen Soldaten bauten auch kleine, in Erdhaufen versteckte massive Holzverschläge. Es waren kleine Blockhütten, versteckt in aufgehäuften Erdhügeln.
Zunächst hatten sie hierzu mittels massiver Holzpalisaden eine Flachbauhütte mit Dacheinstieg erstellt.
Nachdem die Hütte errichtet war, wurde sie mit großen Schaufelbaggern zugeschüttet und so entstand ein kleiner Erdhügel, der sich im Laufe der Zeit in die Landschaft völlig eingepasst hat.
In die Holzverschläge konnte man nur von oben, also über das Dach, mittels einer Luke einsteigen. Es war nicht möglich, diese Luke zu bemerken, denn sie war mit Erde und Gras abgedeckt.
Zur Kennzeichnung dieser Eingangsmöglichkeit hatte man zwei Bäumchen links und rechts der Luke gepflanzt.
In den frühen sechziger Jahren haben die Amerikaner diese kleinen Holzverschläge nicht mehr genutzt und sie wurden von uns Buben in Beschlag genommen.
Wenn man über diese kleinen Holzverschläge Kenntnis hatte und an der Oberseite, zwischen den beiden Bäumchen, etwas in der Erde wühlte, ertastete man eine kurze Kette.
An dieser ließ sich der Eingang samt Platte und Erde öffnen.
Ein ideales Geheimversteck für uns Buben.
Nur ein sehr ausgesuchter Kreis meiner Kameraden wusste davon.
Wir fanden in den Holzverschlägen noch ein paar Hinterlassenschaften des amerikanischen Militärs.
Manchmal
auch Waffen, aber in der Regel Petroleumlampen, Schlafsäcke, Tarnnetze.
Eben alles, was Jungs in diesem Alter auch bestens gebrauchen konnten.
Heute ist das ganze Gebiet wieder ein wertvolles Biotop und Naturschutzgebiet mit seltener und einzigartiger Fauna und Flora.
Ich denke aber, so mancher Erdhügel, sofern er nicht zwischenzeitlich zusammengebrochen ist, verbirgt heute noch das Geheimnis eines versteckten Holzverschlages.
Dieser kleine Wald war für uns Kinder der Knotenpunkt zum Abenteuer spielen.
Die meisten von uns hielten sich den ganzen Tag in diesem Wald auf.
Bedenken mussten wir nicht haben. Damals gab es noch eine berittene Polizei.
Sie war allgegenwärtig präsent und erschien oftmals unvermittelt mitten im Wald.
Das gab uns Sicherheit und die Polizisten mit ihren ruhigen und großen Tieren waren immer sehr freundlich und hilfsbereit.
Ich kann mich an keinen Fall erinnern, der uns Kinder irgendwie in Gefahr gebracht hätte.
Unser Spielen in diesem Wald wurde von den Erwachsenen, von den amerikanischen Soldaten und von dem Förster akzeptiert und toleriert.
Im Winter war dieser Wald wie verzaubert. Die kleinen Hügel waren schneebedeckt.
Sie waren wie geschaffen zum Rodeln.
Auch die Abfahrt von der Kuppe des Lenneberges aus war etwas Besonderes und nur den mutigen Profirodlern vorbehalten.
Erst wesentlich später wurde das Flair dieses Waldes massiv durch die Autobahn zerstört.
Die Autobahn schnitt grausam eine tiefe Wunde mitten durch den Wald.
Er war nachfolgend nicht mehr das, was er war.
Auch die Verbindungsbrücken brachten die Ursprünglichkeit und die Seele des Waldes nicht mehr zurück.
Er war vernichtet und heute sind nur noch die Überreste der ehemaligen Atmosphäre zu erspüren.
Den Gonsenheimern ist still und heimlich ein Stück Lebenselixier genommen worden.
Erst viel später haben sie den Verlust realisiert.
Es gibt vieles zu erzählen über diesen Wald, über seine Entwicklung und seine Vergangenheit, über seine Nähe zu anderen Ortsteilen wie Budenheim, Mombach, Schlosss Waldthausen.
Überall gab es dort erwähnenswerte Berührungspunkte, an denen wir Kinder uns gerne aufhielten.
Diese Orte hatten alle ihre eigene Beschaffenheit inne.
So endete der Wald östlich vor dem Ortsteil Mombach, direkt an einem imposanten Steinbruch, wo damals noch aktiv mittels Dynamit gesprengt wurde.
Für uns Kinder, trotz aller Warnungen, ein Anziehungspunkt.
Nördlich davon konnte man in die Felder in Richtung der Budenheimer Gemarkung gehen, vorbei an Obstfelder, etwas durch den kleinen Ort direkt zum Rhein.
Dort wartete die Rheingaststätte Onkel Heine mit einem leckeren Eis.
Östlich zog sich der Wald von der Wendelinus Kapelle über viele Kilometer bis nach Bingen.
Dabei berührte er Schlösser (Schloss Waldthausen), Quellen, kleinere Ortschaften bis an den Rand des Hunsrücks.
Mit den Fahrrädern fuhren wir Jugendliche oft durch diese wunderschöne Landschaft, am Saum des Waldes entlang dem Rhein.
Wir kamen dabei überall hin und erkundeten so unsere nächste Umgebung.
So machten wir mit den Fahrrädern unsere Tagesausflüge, durchquerten das wunderbare Fischerdorf Uhlerborn, Heidenfahrt, Heidesheim, die Weinstadt Ingelheim bis nach Bingen.
Dieser Gonsenheimer Wald, der eigentlich nur zu einem ganz kleinen Teil zu Gonsenheim gehört, bewegt mich noch heute, versinnbildlicht meine Urheimat und verbirgt tiefe Erinnerungen an meine Kindheit und Jugend.
Gemeinsam mit meinen Eltern, meiner Schwester, meinen Freunden und unserem Familienhund, dem Schäferhund Cliff prägt dieser Wald viele meiner Erinnerungen.