Die wilde und heißblütige Jugendzeit begann nach der Einschulung auf das Gymnasium.
Postwendend, nachdem die Klassen und deren Schüler zusammengestellt waren, beschnupperte man sich gegenseitig.
Schnell erkannte man, wer einem zusagte und welche gemeinsamen Interessen man hatte.
Mein bester Freund war Thomas. Seine Interessen waren zu 90 % identisch mit den Meinigen.
Er kam ebenso wie ich aus guten Verhältnissen, wurde relativ energisch erzogen und hatte dennoch seine eigenen Vorstellungen behalten, wie er seine Jugend erleben möchte.
Schnell wurde uns beiden bewusst, dass wir die gleichen Impulse hatten.
So erforschten wir mit unseren Fahrrädern fast jeden Winkel unserer Stadt und wussten daher auch genau, wo es für uns unterhaltsam sein könnte.
Selbstverständlich machten mir vor den dunkelsten Ecken der Stadt nicht halt und so kamen wir auch ab und zu in bedrohliche Situationen.
So war unterhalb des Wohngebietes, wo Thomas damals wohnte, ein Zigeunerlager entstanden. Auch wenn heute das Wort „Zigeuner“ nicht mehr verwendet werden soll, damals war es in aller Munde und man wusste auch, mit welchen Bürgern man es zu tun bekam, wenn man ein solches Zigeunerlager betrat.
Natürlich hatten wir nichts besseres zu tun, als auffällig durch das Lager hindurch zu fahren und wenig überraschend ließ die Hetzjagd nicht lange auf sich warten.
Mit großen, amerikanischen Straßenkreuzern verfolgten uns die fast vollständige Anwohnerschaft dieses Lagers. Brüllend und johlend jagten sie hinter uns her und versuchten uns in die Enge zu treiben.
Ab und zu ist Ihnen das auch gelungen und endete zu unserer aller Spaß in einer lustigen Rauferei.
Genau darauf hatten wir es ja abgesehen, denn in uns kochte noch das Blut, die Unbekümmertheit und die Ausgelassenheit.
Natürlich mussten wir aufpassen, denn, trotz dass es einen ungeschriebenen Ehrencodex gab, führten manche ein Messer mit sich.
In der Regel wurde damit nur gedroht, aber es gab auch schwarze Schafe. Dies war allerdings auch bei den Zigeunern verboten und deren Oberhaupt achtete streng auf Einhaltung der Regeln.
Wir waren äußerst vorsichtig und kannten auch genau den Zeitpunkt, an dem es besser war, sich zurückzuziehen.
Unsere Absicht hatten wir allerdings erreicht, Respekt.
Respekt war in dieser Zeit das A und O. Es öffnete einem Türen und wir vernetzten uns sehr schnell mit anderen Gleichgesinnten.
Thomas und ich waren in derselben Weise motorbegeistert.
Aber auch die ersten Sympathien zu dem anderen Geschlecht waren in uns wach geworden.
So fuhren wir beide einige Male nach Wiesbaden (mit Bus oder Bahn) um dort eine Bar aufzusuchen.
Sie hieß Crazy Horse und es befanden sich wunderschöne und offenherzige Frauen darin.
Diese waren natürlich hoch amüsiert, dass wir beiden Teenager sie so unverfroren ansprachen, um beispielsweise ein Gläschen Sekt mit ihnen trinken zu können.
Da wir selbst nicht im Entferntesten über irgendwelche größeren finanziellen Mittel verfügten und die Damen dieses Mango sehr schnell erkannt hatten, wurde uns das Getränk in der Regel ausgegeben, oftmals von den geneigten „Beschützern“.
Denn auch diese waren uns immer sehr wohlgesinnt und freuten sich, wenn wir jungen Leute ihre angeberischen Autos, protzigen Ringe, dicke Brieftaschen und den Schulterholster mit Pistolen bewunderten.
Auf jeden Fall war es eine restlos eigene
Atmosphäre, die wohl nur wir, Thomas und ich, genießen konnten!
Wir beide, die so extrem unbefangen waren
und immer bereit waren, eine neue Herausforderung anzunehmen.
Unsere Eltern wussten natürlich nichts von den vielen Unternehmungen. Sie beobachteten nur, dass unsere schulischen Bewerkstelligungen immer mehr nachließen.
In diesem freundschaftlichen Enthusiasmus vertraute mir Thomas an, dass er wisse, wo seine Mutter ihr Fahrzeug abstelle und schlug vor, dass wir mit diesem irgendwann einmal, bestens nachts, nach Wiesbaden fahren könnten.
Ich empfand das als hervorragende Idee. Es galt nun, einige Vorbereitungen zu treffen.
Es sollte doch niemand sofort erkennen, dass zwei Jugendliche das Auto
lenkten. Jeder von uns organisierte sich den Hut des Vaters, aus einer alten Lesebrille wurden die Gläser ausgebrochen, bei Jacques Herrmann, einem kleinen Fastnachtsladen, holten wir uns Schnurrbärte zum Ankleben.
Da unsere Beine noch nicht ganz die Pedale erreichten, mussten wir uns etwas einfallen lassen.
Zwei kleine Holzklötze befestigten wir an den Pedalen, so erreichten wir sie gut mit unseren Füßen.
Der Plan stand und nun wurde der Zeitpunkt zur Realisierung besprochen.
Der günstigste Zeitpunkt war wohl nachts, nachdem die Eltern schlafen gegangen waren.
Heimlich schlichen wir in einer zufällig
nebligen Herbstnacht spät nachts aus dem Haus.
Ich habe noch heute den Duft der frischen Herbstnacht in der Nase, die leichte
Bewegung des nach Laub duftenden Windes streifte mir über die Wangen und ich
war voller Freude und Anspannung.
Ich selbst musste noch mit dem Fahrrad
etwa 2-3 km bis zum Anwesen von Thomas fahren. Selbstverständlich fuhr ich nur
Nebenstrecken und ohne Licht. Es könnte ja eine Polizeistreife meinen Weg
kreuzen.
Thomas wartete er schon zappelig auf mich.
Das Fahrzeug seine Mutter, ein alter VW-Käfer, stand in einer Garagen-Reihenanlage, etwa 200 m von dem Wohnhaus der Eltern entfernt.
Eigentlich ging alles ganz schnell.
Wir zogen unsere Hüte auf, setzten die
Brillen auf und klebten uns gegenseitig die Schnurrbärte an.
Dann ging erst einmal der gegenseitige Lachanfall los. Wir hielten uns die Bäuche vor Lachen, wenn wir den Anderen ansahen.
Erst als wir uns wieder beruhigt hatten, befestigten wir die Klötze an den Pedalen und starteten ohne zu zögern das Auto.
Thomas hatte den Zündschlüssel zuhause von der Garderobe abgehängt und mitgebracht.
Da wir beide bereits zuvor schon allerlei Fahrversuche gemacht hatten (ich mit dem Auto meines Vaters, das ich immer nach dem Waschen um den Häuserblock herum fuhr und Thomas ebenso), war es für uns keine Schwierigkeit, uns direkt auf die Fahrt nach Wiesbaden zu machen.
Etwas heikel gestaltete sich der Nebel, mit dem wir beiden Kerle nicht gerechnet hatten.
Es war schon eine Umstellung durch den feinen Nebel zu fahren, der die Sicht etwas beeinträchtigte.
Es war glücklicherweise kein starker Nebel, eher dunstig.
Aber wir erreichten die Peripherie von Wiesbaden. Die breite Allee war hell erleuchtet und wir steuerten beschwingt direkt auf die Innenstadt zu.
Plötzlich und abrupt fing der Wagen an zu stottern undwir konnten ihn mit Mühe und Not noch am rechten Seitenrand abstellen.
Nichts ging mehr!
Eines hatten wir nicht bedacht. Es war ein alter VW-Käfer, dieser hatte noch keine Tankanzeige an Bord. Aber er hatte einen Benzinhahn, der eine Reserve aktivieren konnte, wenn der Treibstoff fast aufgebraucht war
Leider hatte die Mutter von Thomas diesen Reservehahn bereits betätigt, was für uns bedeutete, dass die Reserve aufgezehrt war und kein Benzin mehr vorhanden war.
Was sollten wir tun? Etwa 100 m weiter, auf der rechten Seite der Straße, befand sich eine Tankstelle.
Wir suchten im Auto nach einem Gefäß und fanden auch tatsächlich einen kleinen, leeren roten Plastikkanister.
5 l fasste er, das würde langen! 15 DM hatten wir dabei. Da damals der Liter Benzin nur knapp über 0,55 DM lag, war dies also keine Hindernis.
Das Problem bestand grundlegend darin, dass jemand erkennen würde, dass wir noch nicht 18 Jahre alt waren und somit auch keinen Führerschein.
Wir hofften, dass uns niemand, trotz unserer Verkleidung, als Jugendliche identifizierte.
Diese Verkleidung war ja eigentlich nur dafür bestimmt, dass man uns nicht auf den ersten Blick im Auto entlarven würde, aber sie war ganz und gar nicht für einen direkten Augenkontakt geeignet.
Einer von uns musste nun aus dem Auto steigen, um zur Tankstelle zu gehen, dort den Kanister zu befüllen und dann möglichst unscheinbar zu bezahlen!
Bezahlen, ohje, das ging nur von Angesicht zu Angesicht.
Ich übernahm die Angelegenheit und siehe da, es funktionierte einwandfrei, denn der Kassierer schaute nur fahrig über mich hinweg, gab mir das Wechselgeld und verabschiedete sich beiläufig.
So! Da war mir ein Stein vom Herzen gefallen. Ich schlenderte gemütlich zurück zum Auto, als neben mir ein Wagen hielt.
“ Können wir Ihnen helfen „ rief eine Stimme freundlich aus dem Auto.
Ich wollte gerade antworten, drehte mich zu dem Auto um und erkannte mit Schrecken, dass es sich um ein Polizeiauto handelte.
Der erfahrene Polizist erfasste natürlich sofort die Situation, lachte sich erst einmal über meine Verkleidung halbtot. Dann nahm er sich professionell dieses Vorkommnisses an.
Man brachte uns im Dienstwagen der hessischen Kriminalpolizei zur Hauptwache.
Dort durchliefen wir dann alle erkennungsdienstlichen Prozeduren.
Es wurden Fingerabdrücke genommen, Passbilder angefertigt und die rheinland-pfälzischen Kollegen informiert.
Denn, da wir Jugendliche aus Rheinland-Pfalz waren, also mit Wohnsitz außerhalb der hessischen Landesgrenze, war das Ganze nunmehr die Angelegenheit der Polizei von Rheinland-Pfalz.
Wie im besten Spionagekrimi wurden wir von der Wiesbadener Polizei bis zur Mitte der Theodor-Heuss-Brücke befördert.
In dieser nebligen Atmosphäre wurden wir von zwei Wiesbadener Polizeibeamten zu ihren Mainzer Kollegen auf der Brücke begleitet und dort förmlich übergeben.
Diese standen, etwas konsterniert, mit ihrem Fahrzeug ebenfalls in der Mitte der Brücke.
Schon bald befanden wir uns im Präsidium in Mainz.
Die Mainzer Polizisten lachten sich auch erst mal halbtot, denn wir hatten immer noch unsere Schnurrbärte und Hüte auf.
Dann regten sie sich über die Wiesbadener Kollegen auf, die wegen so einer Bagatelle, einen überaus übertrieben Aufstand inszenierten.
So zwei Buben sagt man mal die Meinung, ermahnt sie und lässt sie laufen, so war die übereinstimmende Meinung auf der Mainzer Wache.
Das ist wieder mal typisch Wiesbaden,
seufzte einer der Polizisten und fuhr fort:
„Ei ihr Buwe, jetzt bleibt mir nichts anderes übrig, als euch nach Hause zu
fahren und euren Eltern Bescheid zu sagen.
Hast du strenge Eltern? fragt er mich noch. Ich nickte nur, da klopfte er mir sanft auf die Schultern und sagte: ich spreche mit deine Eltern, es wird nicht so schlimm werden. Da musst du jetzt durch. Ich kenne das von mir. Ich war schließlich auch kein Engelchen.
Ich muss wirklich betonen, für mich als Jugendlicher war damals die Atmosphäre in der Mainzer Wache völlig entspannt, im Kontrast zu dem reservierten Amtston in Wiesbaden.
Die Polizeibeamten brachten uns getrennt nachts nach Hause.
Es war unterdessen bereits nach 2:00 Uhr nachts geworden.
Der Polizist wollte mich beruhigen und zwinkerte mir ermutigend zu, bevor er bei meinen Eltern klingelte. Mehrmals klingelte er und zwischen den einzelnen Klingelversuchen zog sich die Zeit, aus Sekunden wurden Stunden, mein ganzer Körper zitterte vor Überspannung. Schließlich erschien mein Vater am Fenster des Schlafzimmers und fragte erstaunt, aus welchem Anlass der Polizist klingele.
Haben Sie einen Sohn namens Alexander? Rief der Polizist meinem Vater zu.
„Ja, warum, um was geht es?“
Der Polizist: „wissen Sie wo sich ihr Sohn zurzeit befindet?“
„Ja, in seinem Bett“, so mein Vater in ruhigem und freundlichen Ton.
Der Polizist: „Nein, das kann nicht
sein, denn er befindet sich hier bei mir, möchte jetzt zu seinem Papa, dem will
er sein neues Abenteuer erzählen. Ist nichts Schlimmes, Herr Eigenbrodt, halt
wie die jungen Kerle so sind“
So nahm der Polizist schon raffiniert den Kontakt zu meinem Vater auf und
deeskalierte auf eine sehr angenehme Art diese hoch angespannte Situation.
Mein Vater kam im Morgenmantel runter und schaute mich etwas irritiert an. Ein ruhiges Gespräch mit dem Polizisten folgte. Danach bat mich mein Vater schlafen zu gehen.
Natürlich konnte ich nur wenig schlafen,
mir ging diese ganze Nacht nochmals durch den Kopf.
Zudem schauderte ich mich vor den Konsequenzen, die ich nun zu erwarten hatte.
Aber entgegen meiner aller Befürchtungen sprach mein Vater am nächsten Tag mit mir.
Er machte mich auf die Gefährlichkeit dieser Handlung
aufmerksam und ermahnte mich ausdrücklich, solche gefährlichen Unternehmungen
nicht mehr durchzuführen.
Er bat mich gleichzeitig um Geduld, denn ab dem entsprechenden Alter dürfe ich
sofort meinen Führerschein machen. Aber Geduld müsse ich schon haben, sonst
stünde er nicht mehr hinter mir und würde
den Führerschein auch nicht unterstützen.
Ich verstand seine Worte, sie taten mir gut.
Ich spürte aber dennoch einen gewissen Stolz im Unterton meines Vaters.
Thomas und ich wussten auch genau, wann die Studenten Vor-lesungen hatten.
10 Minuten vor ihren Vorlesungen setzten wir uns nahe der Zweirad- Parkplätze hin, taten so, als würden wir Formulierungen vorbereiten.
In Wirklichkeit warteten wir nur, bis Studenten, welche mit einem Moped angekommen waren, in die Vorlesung verschwunden waren. Nun mussten wir, dss wir hatten 2 Stunden Zeit hatten.
Zum damaligen Zeitpunkt war es noch nicht üblich, die Mopeds abzuschließen.
Es handelte sich um gewöhnliche Fahrzeuge, meistens Drei -Gang mit einem kleinen Sachs Motor. Man musste sie nur antreten und konnte im Nu mit ihnen durch die Gegend fahren.
Genauso machten wir es.
Sobald die Studenten zur Vorlesung verschwunden waren, nahmen wir ihre Mopeds und fuhren mit ihnen durch die Gegend.
Danach wurden sie wieder vollgetankt
und genau an der Stelle wieder abgestellt, wo wir sie weggenommen hatten. So
merkte niemand, dass während der Vorlesungszeit die Fahrzeuge in anderer Benutzung
waren.
Einen Führerschein hatten wir noch nicht, andererseits gab aber auch Niemanden, der uns je kontrolliert hätte.
Für uns war das damals auch kein Diebstahl, sondern eine Ausleihung.
Gegen Abend, wenn ich meine Hausaufgaben erledigt hatte, war mein Nachbar und Freund Andreas die zentralste Person für mich.
Er war mein Psychologe. Stundenlang warfen wir uns einen Lederball zu, erzählten miteinander und sprachen über Lehrer und Schule.
Probleme mit den Eltern besprachen wir an einer ganz anderen Stelle.
Vor unseren Anwesen Am Geisköpfel in Gonsenheim befand sich ein kleiner Park. Ehemals war es ein Friedhof, der zwischenzeitlich zu diesem kleinen Freizeitpark umgestaltet wurde.
Einige alten Bäume hat man, anerkennenswert, auf dem Friedhof belassen.
Einer dieser Bäume war eine alte Eiche. Man konnte sie leicht erklettern.
Sie hatte einen mächtigen, seitlich abstehenden Ast, der sich anbot, darauf Platz zu nehmen.
Dort saßen wir oft stundenlang und offenbarten uns gegenseitig unseren jugendlichen Probleme und Nöte.
Oft hingen diese mit unseren schulischen Leistungen zusammen. Oftmals aber auch mit den Eltern, die ihre eigenen Probleme in unsere Kinderseelen einverleibten.
Andreas hatte eine sehr ruhige und liebenswürdige Art. Er war nicht aus der Ruhe zu bringen.
Oftmals holten wir uns in dem naheliegenden Lebensmittelgeschäft einige Naschsachen, sofern das unser armseliges Taschengeld das überhaupt zuließ.
So verbrachten wir oft mehrere Stunden, träumten so vor uns hin und fantasierten in die Zukunft hinein.
Ich beneidete Andreas etwas, denn seine familiäre Situation war bei weitem erheblich harmonischer wie meine. Er besaß viele Sachen, von denen ich nur träumen konnte. Für mich damals war das Grandioseste ein voll eingerichtetes Aquarium. Dazu besaß Andreas noch zahlreiche Tier-, Natur- und Pflanzenbücher.
Andreas war ein etwas anderer Freund, aber einer von meinen Liebsten.
Die Schulzeit auf dem Gymnasium war etwas ganz anderes.
Sie war geprägt vom Stress des zu erlernenden, komplexen Unterrichtsstoffes und dem elterlichen Begehren, jede Prüfung und Arbeit gut zu bestehen.
Gerade in dieser Schule war es von großem Vorteil, gut vernetzt zu sein. Überaus von Bedeutung war es, zu wissen, von welchem Klassenkameraden man Beistand bekommen kann und welche Steckenpferde er hat.
Auch hier zeigte sich wieder, dass sich die Geistesverwandten schnell verbündeten.
So entsprossen reine zweckdienliche Freundschaften , dennoch gute Freunde, die halfen, den kniffeligen Unterrichtsstoff aufzuarbeiten.
Freunde, die im Klassenverbund geachtet waren und immer klar ihre Solidarität zeigten, wenn beklemmende Situationen entstanden.
Diese waren nicht nur aufgeweckt, sondern standen auch allen anderen, außerschulischen Dingen offen gegenüber.
Es waren weltoffene, sehr leistungsstarke Schüler, aber keinesfalls introvertierte Streber.
Sie waren selten, ich habe sie sehr geschätzt und es entwickelten sich fesselnde Freundschaften.
Die Schulzeit auf dem humanistischen Gymnasium war für mich persönlich eine Traktur.
Zum einen war für mich dieses altsprachliche Gymnasium, der stark naturwissenschaftlich geprägt war, völlig ungeeignet und zweitens war ich als Spätzünder überhaupt nicht in der Lage, die notwendige Bedeutsamkeit des Paukens zu erkennen.
Infolgedessen hatten in meiner
Schulzeit, zum Leidwesen meiner Eltern, ganz andere Assoziationen bei mir Priorität.
In den jüngeren Jahren waren das die Natur mit dem nahen Wald und dem Tierpark,
den ich regelmäßig besuchte.
Auch mit dem Förster, der diesen Tierpark instand hielt, hatte ich ein gutes Verhältnis.
So kam ich täglich, meist gegen Abend, um ihm beim Füttern der Tiere zu helfen.
Zu Belohnung konnte ich mit eine schöne Feder der im Gehege lebenden Pfauen mitnehmen.
Mich zog es immer aus dem Haus. Ich wollte nur eines, zu meinen Freunden und spielen, spielen, spielen.
So verging kein Nachmittag, an dem ich die zu erledigenden Hausaufgaben vollständig gemacht hätte. Für bevorstehende schriftliche Testarbeiten übte ich nicht, dazu fehlte mir die Zeit!
Statt dessen nahm ich meinem Hund und verabredete mich mit ein paar Freunden, um gemeinsam etwas zu unternehmen.
Ich erinnere mich, dass ich manchmal so früh, also direkt nach dem
Mittagsessen, an der Tür meiner Freunde
klingelte, dass deren Eltern mich auf einen späteren Zeitpunkt verwiesen.
Sie sahen es nicht gerne, wenn ich so früh vor der Tür stand und deshalb den Ablauf der Familie am frühen Nachmittag behinderte.
Denn von nun an war es vorbei mit der nötigen Konzentration meiner Freunde, die sie zur Fortsetzung ihrer Hausaufgaben benötigten.
So quälte ich mich von Jahr zu Jahr durch den lästigen Schulalltag und immer am Rande des Schul-Rauswurfs.
Dazu kam noch der beißende Stress, meinen Eltern gegenüber Rechenschaft darüber abzulegen, die so sehr erwarteten Leistungen nicht erbracht zu haben.
Meine Interessen haben sich im Laufe der Schulzeit verändert.
Ich wurde älter und Mädchen nahmen zunehmend den Platz in meiner Seele und in meinem Herzen ein.
Es waren die ersten zarte Stunden in meinem Leben, wo mich liebliche und weiche Lippen auf einer Party küssten.
Tage- und nächtelang träumte ich davon.
Mein Imponiergehabe steigerte sich zunehmend.
Mein Körper sollte ja etwas darstellen, also stand Muskeltraining und Sport an erster Stelle.
Auch die Herausforderung kampferprobter anderer Jugendlicher stand auf dem Plan. Vor allem, wenn sich Mädchen in der Nähe befanden.
Zigaretten rauchen gehörte unter allen Umständen zum Attribut eines interessanten und selbstsicheren Mannes.
So gerieten die schulischen Leistungen immer mehr in den Hintergrund, was letztendlich unausweichlich in einer Katastrophe endete.
Aber ich hatte ja immer Gleichgesinnte, war nie alleine. Sie teilten ihr Desaster mit mir.
Nach dem Motto, gemeinsam sind wir stark, überlebten wir diese chaotische Zeit und entwickelten unsere eigenen, unverwechselbaren Charaktere!
Letztendlich war unsere Lebensweise eine Folge der Nachkriegszeit und der 68 er Aufbruchstimmung. Wir lebten mitten darin.
Diese Freunde, eigene Köpfe, eigene
Charaktere prägten mich nachhaltig. Speedy, Veit, Johannes, Guido,
Francis….alles Freunde unterschiedlicher Lebensbereiche, mit eigenen Auffassungen, eigenem Willen,
eigener Persönlichkeit.
Mit Speedy hatte ich immer Kontakt., Er war der Berber unter meinen Freunden,
aber allemal sehr gesellig und smart.
Mein erstes legales Moped war ein NSU Qickly.
Es hatte keine Sitzbank und so gab es deshalb auch keinen Platz für einen Sozius.
Bei einem ansässigen Fahrradhändler
holte ich mir daher einen Fußrastensatz,
klemmte ein Kissen auf den Gepäckträger und schon war der Soziussitz
fertig.
Mit Speedy (Jörg) fuhr ich gerne im Gelände des naheliegenden Waldes herum. Das machte uns Spaß und wir waren auch einigermaßen sicher, nicht von der Polizei erwischt zu werden.
Den Führerschein hatte ich zwar, aber es war grundsätzlich nicht gestattet, ohne richtige Zulassung eines Soziussitzes eine weitere Person mit zu befördern.
Einen intakten Gasgriff hatte ich auch nicht, da der Bowdenzug vom Griff abgerissen war und ich nicht das erforderliche Geld für einen neuen Bowdenzug aufbringen konnte.
Also begnügte ich mich damit, in den losgerissenen Bowdenzug eine Schlaufe zu modellieren, um ihn zum Gas geben ziehen zu können..
Der Führerschein selbst habe ich damals eigenhändig bezahlt.
Die Prüfung bestand darin, dass ich zum ortsansässigen TÜV musste.
Nachdem ich mich dort angemeldet und 22 DM bezahlte, Personalausweis vorzeigte und ein Passbild abgegeben hatte, wurde ich zur Prüfung zugelassen.
Nun hatte ich die Gelegenheit zwischen zwei Führerscheinvarianten zu wählen.
Der Führerschein Klasse 5 war etwas preiswerter und die Prüfung wies drei Fragen weniger auf.
Der Führerschein Klasse 4 hingegen umfasste noch weitere Optionen, z.B. auch das Fahren eines Traktors.
Also war es klar, Klasse 4 musste es sein.
Die Prüfung war schnell vorbei. Sie
bestand darin, 10 Fragen auf einem hellblauen
DINA 4 Bogen zu beantworten.
Etwa nach 10 Minuten hielt ich den begehrten grauen Lappen in meinen Händen.
Der Führerschein wurde mir dann stumm ausgehändigt.
Ich hielt ihn in den Händen wie ein unübertreffliches Diplom.
Er sah wie der Autoführerschein aus.
Einer meiner Lieblingsklassenkameraden war Dieter. Mit ihm verbrachte ich viel Zeit, sowohl in den Pausen als auch nach der Schule. Mädchen waren wohl der einzige Gesprächsstoff, den wir beide hatten.
Dieter wurde streng bürgerlich erzogen
und war etwas verklemmt, aber ein sehr fröhlicher und zuverlässiger Freund.
Seine Pluspunkte waren, dass er gemeinhin besser ausstaffiert war, wie ich. Er
bezog mehr Taschengeld, hatte bessere Kleidung (Levis-Hosen und die Schuhe von
der Firma Clarks).
Er besaß bessere Schulutensilien, wie Füller, Mäppchen, Mappe, Heftumschläge
u.v.m..
Ich hingegen hatte immer nur billige Plagiate, welche natürlich sofort von meinen Klassenkameraden als Solche identifiziert wurden.
Das war zwar nicht Schönes. Es wagte
sich aber auch keiner sich darüber zu mokieren. Es störte mich aber auch nicht besonders.
Irgendwie stand ich da drüber.
Mit Dieter habe ich viele Stunden meiner Schulzeit verbracht und er tat mir
leid, denn, obwohl es ihm scheinbar besser ging, war er derartig von seinen
Eltern unterdrückt, dass er im Laufe der Zeit immer mehr seelisch verkümmerte,
bis er fast nicht mehr erreichbar war.
Da trug ich lieber mit Stolz meine Plagiate und philosophierte mit meinen Eltern über das Leben. In dem Punkt waren sie sehr offen und fortschrittlich.
Tja, mein allerbester Freund in der
Jugendzeit war Guido. Über ihn und unsere Freundschaft könnte ich ein ganzes
Buch schreiben.
Jedenfalls begleitete er mich in meiner gesamten Jugendzeit. Wir beide waren
uns sehr ähnlich, erlebten gemeinsam Höhen und Tiefen.
Unendlich viele Geschichten haben wir gemeinsam erlebt, gemeinsames Leid, gemeinsame
Höhenflüge haben uns eng aneinander geschweißt.
Guido wurde ein Teil meiner Jugend, hoch emotional, extrem
experimentierfreudig, wir waren wie Brüder.
Auch alle Anderen sind Teil meiner Jugend, jeder hatte seinen eigenen Platz in meinem Herzen, jeder hatte seine Aufgabe und ich wahrscheinlich auch bei ihnen.