Eines der Großereignisse in meiner Schulzeit war die Ankündigung, dass ein Aufenthalt im Landschulheim bevorsteht.
Die Aufgeregtheit war groß!
Zum ersten dauerte der Aufenthalt mindestens zwei Wochen und des Weiteren fand in dieser Zeit kein gewöhnlicher Unterricht statt.
Zwei Lehrer begleiteten den Aufenthalt und es war von großer Wichtigkeit, um welche beiden Personen es sich handeln würde.
Dies war insofern von großem Interesse, da es sehr aufgeschlossene Lehrer gab, aber auch sehr konservative und stringente Pädagogen.
Von dieser Zusammensetzung hing das ganze Gelingen und die Gaudi dieses Abenteuers
ab.
Also im Sommer 1968 war wieder ein Aufenthalt im Landschulheim in Aussicht gestellt.
Es war just die Zeit, in der wir Schüler uns mitten in unserer Pubertät befanden und gleichzeitig von der Welle der 68 er Revolution erfasst waren.
Insofern kam für die zwei Pädagogen eine schwierige Aufgabe auf sie zu.
Wir waren wild, neugierig und ausgesprochen unbesonnen.
Alleine unser alltäglicher Schulablauf war schon geprägt von diversen „Sit-in“, Schülerstreiks, demonstratives Tragen der Mao Bibel und permanentes Herausfordern.
Selbstverständlich war das Rauchen als augenfälliges Signal des Älterwerdens und der Reife zu deuten.
Wie gesagt, in solch einer Stimmung wurde der Aufenthalt im Landschulheim für unsere Pädagogen zu einem reinen Spießrutenlauf und einer großen Herausforderung.
Etwa vier Wochen vor Beginn der Reise wurde uns der Zielort eröffnet.
Es war das Landschulheim in Winterburg im Hunsrück.
Das größte Glück aber war die Zuteilung der beiden Pädagogen, ein junger Lehrer, den ich selbst in Sport und Französisch hatte und eine nette junge Studienrätin (englisch).
Diese beiden Pädagogen waren bekannt für ihre offenherzige Art und jeder wusste, dass sie liberal, tolerant und aufgeschlossen waren.
So freute ich mich doppelt auf diesen Aufenthalt und war den ganzen Tag am überlegen, was ich mitnehmen sollte.
Vom Fernglas bis zum Agfa Click 1 (Fotoapparat) musste alles in den kleinen Koffer. Da war nur noch wenig Platz für ein paar Pullover, Unterwäsche und Hosen.
Andere
Altersgenossen hatten Schallplatten mit Plattenspieler dabei. Eines war ja
klar, es wird eine fantastische Party geben.
Ich weiß es nicht mehr, mir ist es wirklich entfallen, ob wir mit dem Zug oder
mit dem Bus angereist waren.
Jedenfalls weiß ich noch genau, dass der Herbergsvater am Vorabend verstorben war und wir direkt bei unserer Ankunft den Sarg erblickten, der auf einem Anhänger aufgebahrt von einem Traktor in die Ortschaft gefahren wurde.
Für mich war das eine niedergedrückende und bizarre Situation.
Unsere Koffer mussten wir vom Straßenrand unmittelbar über eine steile Treppe zur Herberge des Landschulheim hochschleppen.
Das Geächtze und Geschnaube meiner Klassenkameraden ist mir noch heute in den Ohren.
Mir selbst machte das wenig aus, da ich selbst ziemlich sportlich und durchtrainiert war.
Dies war einigen meiner Klassenkameradinnen nicht entgangen und sie ersuchten mich, mit verzücktem Augenaufschlag, um Hilfe.
Der ich selbstverständlich beflissentlich nachkam, ganz nach Art eines Gentleman, aber natürlich mit Hintergedanken, da geht noch was!
Aber leider war das wieder all zu schnell verweht, denn nach Ankunft im Gebäude wurden die Zimmer zugeteilt.
Dass Mädchen und Jungen noch scharf getrennt wurden, war zum damaligen Zeitpunkt noch total normal und niemand wäre es in den Sinn gekommen, sich darüber zu beschweren.
Von höchster Wichtigkeit war in diesem Augenblick, mit welchen Klassenkameraden man ein Zimmer teilen durfte.
Schon lange hatten sich bestimmte Gruppen formiert. Diese versuchten nun gemeinsam ein Zimmer zu erstürmen, um es dort zu besetzen.
In der Regel hatten die Zimmer fünf Betten, zwei davon waren Etagenbetten. Nun ging es darum, wer das Einzelbett bekam
und wer oben auf dem Bett liegen durfte.
Die obere Etage war grundsätzlich begehrter, da konnte man sich sicher sein,
keine Pupser abzubekommen.
Aber oben zu liegen war nicht immer von Vorteil, denn der Klassenkamerad, der unten lag, fand in der Regel seine helle Freude daran, den oben Liegenden zu attackieren, indem er stetig von unten so gegen die Matratze trat, dass sein Obermann zeitweise bis zu einem halben Meter nach oben schnellte.
Zwar hatten die Lehrer versucht, eine homogene Situation in den Zimmern zu schaffen, also ruhige Schüler und wilde Schüler etwas zu mischen, aber es blieb nur bei dem Versuch.
Wie zuvor beschrieben, haben sich bereits im Vorfeld die entsprechenden Interessengruppen formiert und ihre Zimmer unvermittelt in Beschlag genommen.
So hatte kein anderer Schüler die allergeringste Chance, in deren Revier aufgenommen zu werden.
Da auch ich bereits im Vorfeld Kontakt zu gleichartigen Kommilitonen aufgenommen hatte, war ich in der glücklichen Lage, dass einer tatsächlich den Plattenspieler dabei hatte und wir so immerzu mit guter Musik versorgt waren.
Zum
damaligen Zeitpunkt war das für uns immens wichtig, denn unsere Musik bei uns
heilig und wir lebten in ihr. Ich selbst brachte Platten mit von Ted Nugent,
Chuck Berry, Canned Heat usw...
Eigentlich war das Rauchen auf den Zimmern untersagt, aber an diese Regel haben wir uns generell nicht gehalten und so war unser Zimmer
teilweise so vernebelt, dass man nur noch schwer und schattenhaft uns wahrnehmen konnte.
Vereinzelt
wurde auch gekifft. Dazu ist zu sagen, dass zum damaligen Zeitpunkt Haschisch
bei weitem nicht so viel THC enthielt,
wie heute.
Viel Freude und viel Spaß machten uns
die vielen großen Tischtennisplatten, die zu jedem Zeitpunkt des Tages von uns
benutzt werden durften.
An
diesen wurden leidenschaftliche Turniere ausgetragen, meistens damit verbunden,
dass der Sieger sich etwas wünschen durfte (Getränk, Zigaretten).
Nachmittags, meistens gegen Abend, gingen wir Schüler die steile Treppe hinunter
zum Dörfchen.
Dazu mussten wir die Straße überqueren. Auf der anderen Straßenseite war ein kleiner Bach. Kleine Brücken führten nun über diesen Bach in den besiedelten Bereich dieses kleinen Ortes. Dort befanden sich zwei kleine Kneipen.
Auch unsere Lehrer waren dort regelmäßig zu finden und gaben uns die Gelegenheit, sie privat kennen zu lernen, mit Ihnen zu klönen und manchmal auch unsere Probleme zu besprechen. Ich empfand das damals als extrem aufgeschlossen.
Nie vergesse ich, dass ich auch einmal zu viel getrunken hatte und nur mit äußersten Schwierigkeiten zum Landschulheim zurück fand.
Aber auch hier waren unsere Lehrer rücksichtsvoll und hatten viel Verständnis.
Um dem Aufenthalt eine pädagogische Prägung zu geben, machten wir 2-3 sogenannte Lehrwanderungen.
Den Sinn und den Inhalt dieser Wanderungen habe ich vergessen, ich kann mich nur noch trübe daran erinnern.
Zum Abschluss des Aufenthaltes hielt jeder von uns noch ein Referat, verbunden mit einer kleinen Präsentation.
Anschließend
startete die Abschlussparty, auf die wir uns alle so freuten.
Letztendlich waren wir aber alle froh, wieder nach Hause zu kommen um dem
schlechten bis ungenießbaren Essen im Landschulheim entschwinden zu dürfen.