Surfen in der Vergangenheit

Wie zarte Fenster in die Vergangenheit lassen Erinnerungen das Licht der Erlebnisse in unsere Seele fließen, während die Zeit unaufhaltsam voranschreitet und die Erinnerungen im Glanz der Unvergänglichkeit erstrahlen lässt.

Juli 1955, Spielen auf der Wiese/Mainz

Juli 1955, es war ein heißer Sommer.



Vor unserem Mehrfamilienhaus hatten die Stadtgärtner den Rasen der Spielwiese gemäht und den Grasschnitt zu mächtigen Grashügeln angehäuft.

Wir Kinder nutzten die kurze Zeit bis zum Abtransport des Grasschnittes.

Aus den Grashügeln wurden schöne wohnliche Iglus gebaut.

Die Iglus stellten die runde Grundform einer Wohnung dar, es roch darin nach frischem Gras und der Boden wurde auch mit Gras ausgelegt.

Nun wurde auch gespielt!

„Vater, Mutter, Kind“, das war unser Lieblingsspiel und eigentlich ein Rollenspiel, welches das damalige Familienleben widerspiegelte.

 

Meine kleine Nachbarin Gisela stellte die Mutter dar, mein Freund Knut war der Vater, ich war der Sohn von beiden.

Gabi, das kleine Mädchen vom Nachbarhaus spielte die Rolle meiner kleinen Schwester.

Überwacht wurde das Ganze von meiner großen Schwester Carmen, die nicht nur Regie führte, sondern auch die Rollen verteilte.

Denn, ab und zu wurde abgewechselt.

So kam ich in den Genuss, auch einmal den Vater spielen zu dürfen, mit aller Strenge natürlich!!


Die alltäglichen Abläufe der damaligen Zeit wurden von uns minutiös nachgespielt.

Aus diesem Grunde hatten wir unterschiedliche Themen, z.B. Waschtag, Putztag, Essen kochen, Arzt u.v.m..

An ein Thema erinnere ich mich noch besonders gut: „Es wird ein Schwein geschlachtet“.

Harald, einer der vielen Buben des Nachbarhauses, wurde von uns überredet, das Schwein zu spielen.

Das Rollenspiel konnte beginnen, Carmen gab genaue Direktiven.

Die Kinder, also Gabi und ich, hatten sich während des Schlachtvorganges artig zurückzuziehen und zu warten.

So kuschelten wir beide uns in den Iglu zurück.

Unter großem Geschrei wurde nun das arme Schwein Harald geschlachtet.

Er spielte seine Rolle sehr engagiert und so manche Hausfrau rannte aufgeschreckt an das Fenster, um zu sehen, ob etwas Furchtbares passiert war.

Nach seinem Tod von Schwein Harald wurde Harald nun sein eigener Metzger (von Carmen, mangels Personals, befördert).
Nach getaner Metzgerarbeit reichte uns Metzger Harald in Form von ein paar Stöcken die leckeren Frankfurter Würstchen.

Es war selbstverständlich, dass wir voll des Lobes waren!

Mitten in diesem Spiel herrschte plötzlich unter den Kindern helle Aufregung.

Klingelte da nicht der Eismann mit dem Eiswagen?!

Mit einem umgebauten roten Tempo (Dreirad Kleinlaster), hielt der Eismann Willi mitten auf der Wiese.

Dort machte er die hintere Ladefläche auf und bot uns 4 Sorten Eis an, nur in der Waffel, Bällchen 10 Pfennige.  

Jetzt hatten wir die Wahl zwischen Schokolade, Zitrone, Vanille und Erdbeere!

Augenblicklich musste ich so rasch wie möglich zu meiner Mutter. Hastend und keuchend an der Haustüre angekommen klingelte ich Sturm.

Mir war damals nicht klar, dass meine Mutter gar nicht in der Lage war, mir einfach so das Geld zu geben. Es war zwar wenig, aber damals konnte sie auf keinen Pfennig des sehr knappen Haushaltgeldes verzichten.

Mein Vater war damal noch Referendar am Frauenlob-Gymnasium in Mainz.

Mit zwei Kinder hatten meine Eltern zu dieser Zeit ein noch recht niedriges Einkommen.

Das wusste ich alles nicht, ich war nur ein Kind.

Ich bedrängte meine Mutter aber derartig, dass sie mir in ihrer Zwangslage schnell ein paar Münzen in die Hand drückte.

Schon bald stellte sich beim Eismann heraus, dass es sich noch um altes „Reichsgeld" handelte.

Mist! Der Tag war gelaufen...aber so war das damals halt. Es ging mir ja nicht allein so....

Andererseits hatte meine Freundin Ingrid (Tochter des Hausmeisters Sattler) 30 Pfennige dabei und gab mir, ohne zu zögern einen Groschen (10 Pfennige)

Am nächsten Morgen wurde ich von der Mama geweckt....und wieder begann ein wunderschöner Tag in meiner Kindheit!