Surfen in der Vergangenheit

Wie zarte Fenster in die Vergangenheit lassen Erinnerungen das Licht der Erlebnisse in unsere Seele fließen, während die Zeit unaufhaltsam voranschreitet und die Erinnerungen im Glanz der Unvergänglichkeit erstrahlen lässt.

Weihnachten

Die Weihnachtszeit war für uns Kinder immer eine sehr reizvolle Zeit.

Sie begann sozusagen mit der Adventszeit. Da wurde ein großer Adventskranz in unserer Schule im Eingangsbereich aufgehängt, was mich sehr beeindruckte.

Auch der Religionsunterricht gestaltete sich etwas anders. Es wurde die Weihnachtsgeschichte dargelegt und Weihnachtslieder gesungen.

In dieser Zeit fingen wir Kinder an, uns auf den Heiligabend vorzubereiten. Es bedeutete für uns, dass wir Lieder auf unseren Musikinstrumenten einübten, uns Weihnachtsgeschichten zum Vorlesen aussuchten und möglichst ein Gedicht auswendig lernten.

Dazu war es unumgänglich für Großmutter und die Eltern ein Geschenk zu basteln. Meistens wurde ein Bild gemalt oder vom Taschengeld eine Kleinigkeit gekauft.

Wenn die Eltern nicht im Hause waren, suchten wir Kinder nach unseren vermuteten Geschenken. Die Eltern müssten sie ja irgendwo schon deponiert haben. Mit Sicherheit haben sie sie gut versteckt.

Manchmal haben wir sie tatsächlich entdeckt. Aber hineinsehen konnten wir nicht, denn sie waren alle schon mit Weihnachtspapier schön verpackt. Da half es auch nicht zu fühlen oder durch die Form den Inhalt zu erkennen.

Man kann sich vorstellen, dass die Spannung stieg. Von Tag zu Tag redeten wir Kinder immer mehr von diesem herrlichen Heiligabend mit der anschließenden großartigen Bescherung.

Nach der Bescherung und nachdem wir Kinder uns wieder beruhigt hatten, gab es bei uns immer ein leckeres Essen, soweit ich mich erinnere war es Kartoffelsalat mit Fleischwurst.

Jedes zweite Jahr war unsere Großmutter als Gast bei uns. Das war für uns Kinder eine wahre Freude, denn wir liebten nicht nur unsere Großmutter, sondern sie brachte auch sehr viel Harmonie und Ruhe in die Familie.

Der Ablauf an Heiligabend war klar.

Schon morgens, nachdem ich aufgestanden war, habe ich akribisch meine Geschenke für meine Eltern und die Großmutter sortiert.

Anschließend haben wir Kinder uns in unsere Zimmer zurückgezogen, um noch mal letzte Übungen mit unseren Musikinstrumenten durchzuführen und noch mal das Vorlesen unserer Weihnachtsgeschichten zu üben.

Letzten Endes war das auch noch so eine Sache mit dem Gedicht, dass möglichst fehlerfrei und mit bester Betonung vorgetragen werden sollte.

Mein Vater schmückte in der Zwischenzeit den Weihnachtsbaum. Damals war es noch gebräuchlich, silberfarbenes Lametta auf den Ästen zu verteilen. Echte Kerzen wurden so platziert, dass sie nach Möglichkeit keinen Brand verursachen konnten. Erst viel später haben wir auch über elektrische Weihnachtskerzen verfügt.

Nach dem Mittagessen, also am Nachmittag, mussten wir Kinder in den Kindergottesdienst. Auch dort ging es sehr festlich zu und die Kirche war an diesem Tag extrem voll.

Vor dem Altar war ein riesig großer Tannenbaum aufgebaut und natürlich wurden Weihnachtslieder gesungen. Der Pfarrer, unser Pfarrer Steitz, las noch die Weihnachtsgeschichte vor.

Nun konnten wir Kinder es kaum noch abwarten, wieder nach Hause zu kommen.

Aber wir mussten noch warten. Aus diesem Grunde wurden wir auf unsere Zimmer geschickt, wo wir meistens gemeinsam so lange ausharrten, bis das erlösende Weihnachtsglöckchen uns zur Familienfeier rief.

Als besonderes Schmankerl hat mein Vater noch Wunderkerzen an verschiedene Stellen des Baumes gehängt.

Diese wurden, kurz bevor wir Kinder über die Weihnachtsklingel zum Fest gerufen wurden, angezündet. Wenn die ganze Rasselbande dann das Wohnzimmer stürmte, erstrahlte der Weihnachtsbaum im Strahle der Wunderkerzen.

Ehrfürchtig setzten wir uns zu unseren Eltern und mein Vater begann mit seiner Gitarre Lied für Lied zu spielen. Die ganze Familie sang mit, wobei meine Mutter nicht nur die Textsicherste war, sondern auch am lautesten trällerte.

Meiner Oma liefen meistens ein paar Tränen über die Wangen, ganz wenige nur, denn eigentlich, so sagte sie mir immer, könne sie nicht weinen. Ich dachte immer, wenn ihr die Tränen kamen, dachte sie wohl an meinen Opa.

Wenn 1-2 Lieder gespielt und gesungen waren, mussten wir Kinder der Reihe nach ein Gedicht vortragen, eine Geschichte vorlesen oder etwas auf unserer Flöte vorspielen.

Jeder von uns war heilfroh, wenn er diese Pflicht möglichst fehlerfrei absolviert hatte.

Danach konnte man mit Erleichterung noch lauter singen und mit viel mehr Freude auf die Bescherung warten.

Nachdem mein Vater noch die Weihnachtsgeschichte vorgelesen hatte, ging er bedächtig auf die große Flügeltür zu. Da diese mit Milchglas versehen war, meine Eltern in dem sogenannten Bescherzimmer eine kleine Lampe brennen ließen, konnten wir Kinder schon die Silhouetten unserer Geschenke sehen.

Nun war die Flügeltür offen und wir stürmten das Zimmer.

Meine Mutter zeigte jedem Kind seine Ecke, in dem die Geschenke lagen. Auch das Geschenk von unserer Großmutter lag an dieser Stelle. War das eine Aufregung! Hastig wurden die Geschenke aufgerissen, vor lauter Freude wurde geschrien, gelacht, gestrahlt, erprobt und den anderen gezeigt.

Danach kam noch ein besonderer Punkt. Den Eltern und der Großmutter unsere Geschenke zu übergeben. Würde ihnen das Geschenk gefallen? In banger Hoffnung überreichte jeder von uns sein Geschenk den Eltern.

Natürlich gefiel es ihnen! Immer!

Nun versammelten wir uns alle im Esszimmer und ich deckte zusammen mit meinen Schwestern den Tisch ein.

Das Abendessen an Heiligabend war immer etwas Wundervolles. Es war wohl die Atmosphäre, dieses Beglückende, der Geruch von abgebrannten Kerzen und dem Beisammensein der ganzen Familie.

Schon in der ganzen Vorweihnachtszeit wartete ich gespannt, mit welchen märchenhaften Filmen wir an Weihnachten rechnen konnten.

Das Fernsehheftchen war noch sehr dünn, standen doch gerade mal zwei Programme zur Verfügung.

Über die damalige Technik will ich mich jetzt nicht auslassen, mehr das Repertoire an Weihnachtsfilmen.

Ad hoc fallen mir "Peterchen`s Mondfahrt, Don Camillo und Peppone, Die Augsburger Puppenkiste mit Lukas dem Lokomotivführer und seiner Lokomotive Emma“ ein.

Es sind wunderbare Erinnerungen, die Familie saß vor dem Fernsehapparat (vorn die Eltern mit kleinem Beistelltisch, Aschenbecher, Weingläsern und Salzstangen), hinten auf Stühlen saßen wir Kinder.

Tränen der Ergriffenheit flossen, schlagartig wurde wieder gelacht und natürlich wurde auch "genascht".

Bei einer weihnachtlichen Kochsendung mit Vico Torriani (es wurde ein Gänsebraten zubereitet) war meine Oma ganz erstaunt und rief: “Der Fernseher macht sogar Geruch!“

Wir Kinder brüllten vor Lachen, denn zeitgleich lag unsere Weihnachtsgans im Bräter und verursachte dieses Brataroma!

Noch lange Jahre haben wir davon erzählt!

Das Fernsehen und die das entsprechende Weihnachtprogramm hat mich und meine Geschwister mitgeprägt, gerade wenn ich an diese beseeligte Weihnachtzeit in den Anfängen des Wirtschaftswunders zurückdenke.