Meine Großmutter Loni
zu meine Großmutter hatte ich eine besondere Beziehung. Das resultierte daraus, dass ich oftmals die Ferien bei ihr verbracht habe.
Es war etwas ganz Besonderes, bei meiner Oma die Ferien zu verleben. Sowieso suchte ich jede Möglichkeit, um bei ihr einige Tage bleiben zu können.
Meine Großmutter zu beschreiben ist nicht so einfach.
Sie hatte eine etwas zurückhaltende Art an sich, war aber dennoch sehr fürsorglich und herzlich. Ich habe sie selten lachen gesehen, dennoch konnten wir beide ab und zu so herzhaft lachen, dass uns bald der Atem weg blieb. Das war allerdings sehr selten.
Meistens war meine Oma sehr rational und trocken. Fortwährend hatte sie eine Schürze an, denn es gab immer irgendetwas zu tun.
So hielt sie auf dem kleinen Bauernhof noch Hühner. Die anderen Tiere, wie Schweine, Ziegen, Kühe und Pferde, hatte sie nach dem Tod meines Großvaters abgegeben.
Großmutter bewirtschaftete noch einige Felder. Dort waren Kirsch- und Aprikosenbäume, dazwischen waren auch Spargel gepflanzt und einiges Gemüse.
Man kann sich das heute nicht mehr vorstellen, dass zwischen den Obstbäumen noch andere Feldfrüchte gepflanzt waren.
Meine Großmutter hatte auch einen Garten, direkt an einem Altrheinarm liegend, in dem war hauptsächlich Gemüse und Blumen gepflanzt.
Die Blumen hat meine Großmutter immer an eine Gärtnerei verkauft.
Wenn ich in den Ferien bei ihr war, liefen wir beide zu einem der beiden Äcker.
Im Schlepptau hatten wir einen kleinen hölzernen Leiterwagen.
Oftmals durfte ich mich hineinsetzen, während meine Großmutter mich zog. Das ging aber nur auf dem Hinweg, denn auf dem Rückweg hatten wir meistens einige Holzsteige mit Obst geladen.
Dass es Zeit wurde, alles zusammenzupacken und geschwind den Heimweg anzutreten, hörten wir immer an dem langgezogenen Pfeifton der herannahenden Dampflok.
Diese pendelte zwischen den kleinen Dörfchen hin und her. Pünktlich um 17:00 Uhr fuhr sie in den kleinen Dorfbahnhof, um dort die Pendler aussteigen zu lassen.
Diesen dumpfen Pfeifton der Dampflok deutete meine Oma als Ruf „ham“ (hochdeutschè „geht heim“) Tatsächlich hörte ich aus diesem klagenden Heulton im Laufe der Zeit auch genau diesen Heim-Ruf.
17:00 Uhr war auch unbedingt höchste Zeit, denn um 17:30 Uhr schloss die Annahmestelle, an der wir die gepflückten Früchte abgeben konnten.
Es wäre unangenehm gewesen, das Obst über Nacht zu behalten. Es wäre verdorben und in diesem Zustand nicht mehr verkäuflich gewesen wäre.
Die Feldarbeit machte mir überhaupt keinen Spaß. Ich musste zwar nicht mithelfen, aber es war entsetzlich langweilig. Ab und zu gab mir meine Großmutter eine Aufgabe.
Mit dieser war ich alsdann den ganzen Tag beschäftigt.
Zum Beispiel, die Reste eines gefällten Obstbaumes aus dem Boden zu graben.
Das erforderte meinen vollen Körpereinsatz und ich verbiss mich, bis ich die letzte Wurzel ausgerissen hatte.
Bereitwillig kletterte ich auch auf die Obstbäume, um dort an den kniffligsten Stellen noch die letzten Früchte in ein Körbchen zu lesen. Dafür gab es selbstverständlich immer besonderes Lob!
Meine Großmutter nahm auch immer Getränke und etwas zu essen mit. Die Getränke erlebte ich als furchtbar, denn vorwiegend war es Tee, ungesüßt und lauwarm.
Zu essen hatte sie uns in der Regel belegte Brote gemacht. Diese waren immer lecker.
Häufig machten wir eine längere Pause und legten uns nach dem Essen unter einem Baum auf eine braune, dicke Decke.
Dort haben wir etwas geruht und Großmutter erzählte mir Geschichten, welche sich in früheren Zeiten in dieser Umgebung zugetragen haben sollen.
Da sich das Feld meiner Großmutter in einer Gemarkung befand, deren Name „Galienäh“. (hochdeutsch Galgennähe) war, gab es darum viele Mythen und Ausführungen! Natürlich alles sehr schauerlich.
Gleichwohl sei an dieser Stelle gesagt, dass meine Großmutter eine durchaus große Fantasie aufbrachte, um meinen endlosen Fragedurst zu befriedigen.
Nachdem wir das Obst bei der Annahmestelle abgegeben hatten, waren wir schnell wieder zu Hause.
Aber nur, falls uns nicht unerwartet eine von Großmutters Freundinnen über den Weg lief.
Dann ging eine pausenlose Plapperei los…und das konnte dauern!
Zuhause angekommen, öffnete meine Großmutter mit einem riesigen Hofschlüssel das große Hoftor und ich rangierte den kleinen Leiterwagen geschickt in die Scheune.
Mit einem großen Riegel wurde das Tor von innen wieder zugesperrt. Tagsüber, wenn der Riegel zurückgeschoben war und so die Hoftür geöffnet werden konnte, kündigte mit hörbarem Bimmeln eine Glocke den Besucher an.
Abends, vor dem Abendessen, war noch eine Runde spielen angesagt.
Genau gegenüber, auf der anderen Straßenseite, wohnte mein Freund Werner. Er hatte meistens auch schon ungeduldig auf mich gewartet. Oft hatten wir uns viel zu erzählen.
Der kleine Bauernhof von Werners Eltern war noch wesentlich interessanter.
Dort gab es noch Pferde, Schweine, Kühe, Hasen und jede Menge Hühner.
Diese Tiere mussten versorgt werden.
Es war Teil der Aufgaben von Werner, hier mitzuhelfen. So war es total selbstverständlich, dass ich, wenn ich bei ihm war, ihm auch half.
Diese Nachbarn besaßen auch schon einen Traktor, zusammen mit einer sogenannten „Rolle“ (einem Anhänger mit Gummireifen), das war zu jener Zeit schon Aufsehen erregend.
Nicht ohne Neid, wie ich schon damals als Kind mitbekam, denn diese Nachbarn waren Flüchtlinge aus den deutschen Ostgebieten und waren daher in den Genuss von dem Lastenausgleich gekommen.
Infolgedessen hatten sie einen guten Start und dazu noch einige Begünstigungen, die die ansässige Bevölkerung nicht hatte.
Immer vergessen dabei wurde, was diese Menschen alles verloren hatten und welch Qualen und Schikanen sie während der Flucht durchlitten.
Für mich, als Kind, waren das die ersten Begegnungen mit Fremdenfeindlichkeit.
Gerade deshalb schätzte ich meine Großmutter so sehr. Sie verwahrte sich unmissverständlich gegen solche Ablehnungen, ja, sie konnte sogar deshalb recht aufgebracht werden.
Vor allem, weil diese Nachbarn sich als sehr gute Freunde offenbarten. Man half sich gegenseitig und war eng miteinander verbunden!
Nach dem vielen Spielen rief mich meine Großmutter, es war jetzt Zeit fürs Abendbrot.
Frisches Bauernbrot stand auf dem Tisch, meine Großmutter griff es, presste es vor ihren Bauch und schnitt frei Hand einige Ranken (dicke Scheiben) ab.
Der Tisch war immer schön gedeckt, eine Wachstischdecke schützte den Holztisch vor Flecken.
Das musste sein, denn ab und zu fiel uns Kindern die Flasche um oder das Brot landete umgestülpt auf dem Tisch.
Meine Großmutter hatte den Tisch immer gut eingedeckt, also mit dem Bauernbrot, Steuber- Senf, Gurken, Tomaten, Butter und drei Sorten Wurst.
Den Senf gab es in kleinen grünen Eimerchen.
Die Schwester meiner Oma (Tante Dina) wohnte einen Ort weiter, in Eich.
Dort gab es eine Senffabrik, in der sie arbeitete. Folglich wurde die ganze Familie immer mit diesem sehr leckeren, milden Senf versorgt.
Nach dem Abendbrot legten sich meine Oma und ich nebeneinander auf eine Couch. Diese stand auch in der Küche.
Am Kopfende der Couch trug ein kleines Tischlein einen imposanten Rundfunkapparat (Radio).
Wenn man diesen über einen Drehknopf einschaltete, musste man nun ca. 30 Sekunden warten, ein magisches Auge begann ganz langsam grün zu leuchten.
Wenn das magische Auge voll leuchtete, war das Radio bereit.
Nun konnte man sich einen Sender suchen. Es gab damals zwei Sendefrequenzen, Kurzwelle und Langwelle.
Auf der Kurzwelle haben wir immer Hörspiele gehört, meistens sehr dramatisch und oftmals Krimis.
Dazu haben wir beide einen Mandellikör getrunken. Diesen hatte meine Großmutter ursprünglich von meinen Eltern aus Berlin mitgebracht bekommen. Er war in einer Flasche, welche die Form eines Bären hatte.
Da die Flasche so außergewöhnlich war, hat meine Großmutter immer wieder Mandellikör nachgefüllt.
Falls es kein Hörspiel gab, holte Oma Knöpfe herbei.
Diese sammelte sie in einem Schuhkarton Er war randvoll mit vielen ausgefallenen Knöpfen gefüllt.
Wir suchten uns nun für ein Mühlespiel neun weiße und schwarze Knöpfe aus.
Oma zeichnete mit einem dicken Bleistift Linien auf einen Karton und fertig war das Mühlespiel!
Dabei haben wir aus dem Dampfradio schöne Volksmusik gehört und Eierlikör getrunken, was eine Freude!
Leider war ich ein schlechter Verlierer. Hatte ich wieder einmal ein Spiel verloren, entluden sich meine Empörung und mein Frust. Das besonders, wenn Großmutter eine sogenannte Zwickmühle ausgeheckt hatte.
Das Bilden einer solchen Zwickmühle hatte für mich zur Folge, dass ich mit einem einzelnen Zug keine Möglichkeit mehr hatte, beide offenen Mühlen zu blockieren und habe so zwangsläufig einen Spielstein nach dem anderen verloren.
Im anknüpfenden Spiel musste mich meine arme Großmutter unter allen Umständen gewinnen lassen, sonst war meine Geneigtheit am Ende und der Abend ging nicht in gewohnter Harmonie zu Ende.
Meine Großmutter hat mich im Grunde nie geschlagen. Es kam schon mal vor, dass sie sehr ärgerlich war und ihr die Hand ausgerutscht war. Ich muss freilich hierzu sagen, dass sich ein sehr unbändiger Junge war! Es gehörte schon sehr viel dazu, meine Großmutter so zu reizen, dass ihr einmal die Hand ausrutschte.
Ich habe es ihr auch nie verübelt, denn, wenn sie handgreiflich geworden ist, war das so zurückhaltend und weich, dass ich es eigentlich gar nicht spürte.
Ich habe immer das Gefühl gehabt, dass ihr das selbst mehr weh getan hat. Meine Großmutter war absolut gegen jede Art von Gewalttätigkeit.
Naja, ab und zu habe ich sie bis zur Weißglut gebracht, was mir dann auch anschließend leidgetan hat.
Ich habe zwar meine Großmutter nie weinen sehen, aber sie war nach solchen Auseinandersetzungen schon sehr unglücklich und das hat mich immer sehr berührt.
Da mein Großvater in meinem fünften Lebensjahr verstorben war, war es üblich, dass wir Kinder, wenn wir bei ihr übernachteten, in dem Bett von unserem Großvater schliefen.
Das war schon sehr lustig, denn wir lagen noch auf den alten Strohmatratzen.
Die Matratze von meinem Großvater hatte eine riesige Mulde, genau an der Stelle, wo er mit seinem Hintern gelegen hatte.
In der Mitte des Doppelbettes hing eine Schnur bis auf das Bett herab. Am Ende der Schnur befand sich ein Griff aus Stoff. So konnte man das Licht ein- und ausschalten, bequem vom Bett aus.
Tapeten gab es nicht, die Wände waren gekalkt und blaue Muster waren aufgewalzt.
Großmutter ging fast immer mit mir ins Bett. Da ich noch nicht schlafen konnte, erzählte sie mir haufenweise Geschichten aus dem spannenden Leben meines Großvaters.
Da es keine Heizung gab, machte meine Großmutter Wasser heiß. Sobald der Wasserkessel pfiff, schüttete sie das heiße Wasser in eine Wärmflasche aus Messing.
Damit wir Kinder uns nicht verbrannten, wurden die Wärmflaschen nochmals mit Handtüchern umwickelt.
Wenn ich morgens wach wurde, wenn der Hahn krähte (das war wirklich so!), dann war meine Großmutter schon unterwegs, hatte ihre morgendliche Toilette erledigt und den Tisch für das Frühstück gedeckt.
Wenn sie mich rief, dann lief ich barfuß die steile Treppe hinunter und freute mich, mit meiner Großmutter zusammen zu frühstücken.
Auch morgens gab es frisches Bauernbrot, Butter und Gelee.
Zu trinken hatte Großmutter entweder Milch oder, wenn wir wollten, Caro Kaffee (auch mit viel Milch). In späteren Zeiten gab es auch Kaba.
Nach dem Frühstück wurden noch die Hühner versorgt. Der Tag begann wieder mit dem Gang zu den Obstfeldern.
Großmutter hatte viele Freundinnen.
Deshalb war es oft schwierig, zügig zu den Feldern zu kommen. Genauso war es beim Rückweg.
Denn eines war hundertprozentig, sobald sich eine Freundin näherte, wurde reichlich und lange geredet.
Ich muss gestehen, dass mir das sehr auf die Nerven ging.. Schließlich hat es mir meine wertvolle Zeit geraubt, die ich zum Spielen brauchte!!
Deshalb nörgelte ich so lange, bis meiner Großmutter endlich mit der Unterhaltung aufhörte und mit mir nach Hause ging.
Mit Sicherheit war meine Großmutter auch froh, wenn ich wieder von meinen Eltern abgeholt wurde und sie wieder ihren gewohnheitsgemäßen Tätigkeiten nachgehen konnte.
Als Kind war es mir selbstverständlich nicht klar, dass ich eine Belastung für meine Großmutter war.
Sie hat mich das auch nicht spüren lassen und ich denke auch, sie hat mich so geliebt, dass sie damit keine großen Probleme hatte. Letztendlich war ich nicht allzu lange bei ihr und, ich hatte immer das Gefühl, dass sie sich auch sehr freute, wenn ich zu ihr kam.
Sonntags ich war immer ein besonderer Tag. Großmutter machte dann immer ein sehr leckeres und besonderes Mittagsessen.
Sie wusste genau, wie gerne ich bei ihr aß und was meine Lieblingsgerichte sind.
So stand sie mit ihren grauen Haaren am Kohlenherd und bereitete das Essen vor. Wie gesagt, sie bereitete es nur vor. Danach gingen wir beide in die Kirche. Ich muss gestehen, ich erinnere mich nicht mehr, wie die Kirche innen ausgesehen hat. Ich erinnere mich nur noch, dass neben der Kirche eine große Eiche stand, unter dieser unterhielten sich die Dorfbewohner und plauschten über die neuesten Begebenheiten im Ort.
Auf dem Rückweg gingen wir nochmals bei Großmutter Freundin „Kätche“ (Katharina) vorbei, einer sehr lieben und sehr dicken Frau. Diese wartete schon auf uns.
Dort bekam ich immer eine Tafel Schokolade! Deshalb erduldete ich auch die langweiligen Dialoge, die beide über einen längeren Zeitraum führten.
Endlich wieder zu Hause, bereitete Großmutter das Essen fertig zu. Ich erinnere mich, dass es immer zuvor eine Markklößchen-Suppe gab.
Ein Salat war obligatorisch, ab und zu hatte Großmutter auch ein Huhn geschlachtet. Das wurde serviert mit Nudeln und einer leckeren Sauce.
Aber auch Weckschniede (arme Ritter) mit Weinsauce waren immer ein besonderes Sonntagsessen.
Meinem Empfinden nach war Großmutter eine sehr gute Köchin, bei der ich sehr gerne gegessen habe. Immer mit großem Appetit, denn alles hatte sie stets sehr sauber und sorgfältig zubereitet.
So war meine Großmutter im Grunde, sauber und duftete immer nach Kernseife und nach 4711.
Meine Großmutter war für mich eine Person, die für mich und mein späteres Leben Vorbild geworden ist. Ihre Ernsthaftigkeit, ihre Ehrlichkeit und ihr Sanftmut waren beispiellos.
Trotz ihrer kleinen Rente war sie immer sehr großzügig, so weit das im Rahmen ihrer Möglichkeiten ging.