Schon kurz nachdem wir in der Sömmerringstraße eingezogen waren, lernten wir unsere neuen Freunde kennen. Diese wohnten entweder im gleichen Häuserblock oder in den Häuserblöcken ganz in der Nähe.
Hinter unserem Häuserblock befand sich eine große Wiese. Dieser war umgürtet von einer kleinen Straße, welche ringförmig die Wiese umgab. Deshalb hieß diese Straße auch „Rundstraße“.
Die Wiese war vorherrschender Treffpunkt von uns Kindern. Es war ein kleiner Spielplatz vorhanden, versehen mit zwei Schaukeln, einem Sandkasten und einer Rutschbahn.
Damals waren die Rutschbahnen noch aus Sperrholz. So mussten wir Kinder aufpassen, dass wir uns an dem Sperrholz und den Splittern nicht verletzten.
Die Rutsche war bei uns allen stark angesagt. Wir hatten auch bestimmte „Rutsch“- Taktiken entwickelt.
So gab es drei Haupttaktiken: einfach sitzend herunterrutschen, einmal auf dem Rücken liegend runterrutschen und für die ganz Unerschrockenen war die letzte Strategie das Höchste, nämlich auf dem Bauch vorwärts die Rutsche runterrutschen.
Leider gab es auch damals schon Jugendliche (man nannte sich früher „Halbstarke“), welche die Spielgeräte systematisch zerstörten. Unsere Rutsche wurde regelmäßig beschädigt, was bei der Sperrholz-Bauweise nicht allzu mühevoll war.
Einige Kinder und Jugendliche nutzten damals auch die Rutsche, um mit den Rollschuhen herunter zu brausen.
Da die Rollschuhe noch mit Eisenrollen versehen waren, war unsere Rutsche ruckzuck kaputt.
Bedeutungsvoll war unser Sandkasten. Er befand sich direkt unter einem Baum.
Wir Kinder bauten in ihm kleine Städte mit Parkplätzen und Straßen. Zudem holten wir unsere kleinen Autos und konnten stundenlang spielen.
Auch kleine Puppen kamen zum Einsatz, Feuerwehr, Polizei und Krankenwagen durften nicht fehlen.
So manch einer hatte auch bereits einen Modell Lastwagen oder einen Bagger, kleine Modellhäuschen usw.
Wie konnten uns aber auch ohne Spielsachen helfen.
Dann entstand aus einem Steinchen ein Autochen, aus einem Stück Rinde ein Gebäude oder eine Rampe. Mit einem Stöckchen wurde eine Schranke gebaut und mit Draht wurde die Randbefestigung der Straßen markiert.
Natürlich erkannte man schon damals die sozialen Unterschiede der einzelnen Kinder.
Während einigen nur billige Plastikautochen zur Verfügung standen, konnten die anderen bereits mit Metallautos glänzen.
Es waren sogenannte Wikingerautos. Sie waren eine große Kostbarkeit und man musste sehr darauf aufpassen, damit sie nicht von anderen stibitzt oder annektiert wurden.
Oftmals kamen auch Zinnsoldaten zum Einsatz.
Lego gab es damals noch nicht. Wir nahmen vorlieb mit den Holzbausteinen. Diese waren unterschiedlich geformt, es gab Brücken, Quadrate, Rechtecke und Dreiecke. Richtig zusammengesetzt, konnte man sie zu unterschiedlichen Gebäuden zusammenstellen.
Regelmäßig wurde die Wiese auch gemäht. Bevor das gemähte Gras eingesammelt wurde, haben wir Kinder es aufgetürmt und uns kleine „Gras-Iglus“ gebaut. Das war genial, so spielten wir Vater, Mutter und Kind. Das Gras-Iglu wurde dann zur Wohnung und eine Familie war auch schnell zusammengestellt.
Ich habe schon in meinem vorherigen Post erwähnt, dass wir Kinder auch ab und zu in den Bombenkratern gespielt haben.
Bei diesen hatte sich derweil am oberen Rand ein dichtes Buschwerk gebildet, so dass wir Kinder uns dort kleine Höhlen bauten.
Es war immer ein schönes Versteck, wenn wir „verstecken“ spielten. Ich denke, ich brauche dieses Spiel nicht zu erklären, auch heutzutage kennt es noch jeder. Auch „nachlaufen“ war immer eine willkommene Abwechslung.
Besonders spannend war immer „Räuber und Gendarm“, das spielte ich, zusammen mit meiner Schwester immer sehr gerne.
Die Rollschuhe waren damals noch sehr einfach und ich habe es schon erwähnt, die Rollen selbst waren aus Metall.
Das führte dazu, dass die Rollschuhe über keinerlei Dämpfung verfügten und die Füße nach kurzer Zeit durch die Vibration richtig pelzig wurden.
Dann und wann hängten wir Kinder uns an langsam fahrende Lastwagen und ließen uns so die Straße entlang ziehen. Dennoch kann ich mich nicht erinnern, dass jemals irgendetwas passiert wäre oder dadurch ein Kind zu Schaden gekommen wäre.
Die soziale Struktur in diesem Wohngebiet war sehr gemischt. Von sehr einfachen Hilfskräften bis hin zum Akademiker lebten alle in einer Hausgemeinschaft.
Man vertrug sich mehr recht als schlecht, schließlich hatte man andere Sorgen in dieser verworrenen Nachkriegszeit.
Wie Kinder spürten die Unterschiede hingegen wesentlich drastischer. Wir mussten schon früh erkennen, dass es viele Kinder gab, die in sozial widrigen Verhältnissen aufwuchsen und dementsprechend verroht waren.
Folglich muss man zu jedem Zeitpunkt auf der Hut sein, um nicht verprügelt oder bestohlen zu werden.
In unserer unmittelbaren Nachbarschaft befand sich ein anderes Mehrfamilienhaus, bewohnt von Mietparteien, die uns Kindern äußerst suspekt waren. Die Kinder dort waren ausgesprochen aggressiv und hatten eine sehr platte Ausdrucksweise.
Wir hatten Angst vor ihnen und es waren für uns die „Harekinder“. Woher dieser Begriff kam. Weiß ich heute nicht mehr.
Ich weiß nur, dass einzig und allein meine Schwester ihnen gegenüber Paroli bieten konnte und immer in der Lage war uns zu verteidigen. Sie war einfach furchtlos, vor allem, seitdem sie einen wilden, große, rothaarigen Nachbarsbuben siegreich vertrimmte. Das war für mich als kleiner Bub schon sehr beeindruckend, so hielt ich mich immer in Sichtweite meiner Schwester auf.
Ein Schrei von mir und sie war zur Stelle, darauf war Verlass!
An Ostern 1955 kam frühmorgens der Osterhase.
Ich stand gerade auf unserem Balkon, um ihn noch zu sehen. Er sei sehr schnell, mein Vater betonte das ausdrücklich.
Also wartete ich mit Spannung auf den Osterhasen und ließ die Wiese nicht aus den Augen. Es war ein schöner Frühlingstag, am blauen Himmel waren nur wenige Wolken.
Aber eine Wolke sah tatsächlich aus wie ein Osterhase. Unglaublich! Ich war begeistert. Ich rief nach meinem Vater und zeigte ihm die Wolke. Für mich war es klar, der Osterhase kommt gleich!
Es war kaum zu glauben, schon 5 Minuten später ertönte ein schriller Pfiff, meine Mutter rief „ich glaube, ich habe den Osterhasen gesehen“, „ich glaube, er ist auf der Wiese“!
Mit
Höchstgeschwindigkeit rannte ich durch die Wohnung zur Wohnungstür, um das Haus
herum und tatsächlich: da lagen Ostereier in einem Nestchen, ein roter
Osterhase aus Zucker und ein blauer, kleiner Tretroller.
Was ein Glück!
Beinahe hätten die Nachbarskinder die Ostersachen in ihren Besitz genommen. Es
waren ja auch nur Kinder und dachten wohl, der Osterhase wäre für sie gekommen.
Ein Tretroller!
Etwas unglücklich war ich schon, dass der Osterhase bereits verschwunden war und ich ihn nicht mehr sehen konnte. Aber egal, das Geschenk war fabelhaft.
Ich möchte hier erwähnen, dass wir Kinder damals mit allem spielten, was uns zur Verfügung stand.
So waren auch Fahrräder und Tretroller zu finden, die über keinerlei Bremsen und auch nicht über Reifen verfügten. Wir fuhren sie einfach, auch ohne die Gummireifen, direkt auf den Felgen. Teilweise stammten sie noch aus den ausgebrannten Ruinen, wenn die Keller freigelegt wurden.
Es machte sogar Spaß, denn diese Gefährten waren nicht nur laut, sondern bildeten auch einen Funkenflut beim Fahren, Metall auf Asphalt!
Manchmal fanden wir auch alte Autoreifen, die wir aufstellten und die Straße entlang rollten. Mit einem Stock wurden diese immer wieder angestoßen, bis sie auf Geschwindigkeit kamen.
Zwischen den ganzen Ruinen war es damals noch nicht üblich, die Abfälle vernünftig zu entsorgen. Oftmals fand man wilde Abfallplätze inmitten der Ruinen, dort wurden auch alte Autos einfach so abgestellt.
Man kann sich durchaus vorstellen, dass solche Autos ein Paradies zum Spielen für uns Kinder waren.
Oftmals konnte man sie sogar noch anlassen und einige Meter damit fahren, vorwärts und rückwärts.
Im Winter gab es einen kleinen Hügel vor dem Haus, mehr eine Böschung.
Wenn es geschneit hatte, war dieser von uns Kindern völlig belagert, denn es war die einzige Möglichkeit, mit unseren Holzschlitten dort hinab zu fahren
Aus vereisten Pfützen haben wir und sogenannte "Schlitterbahnen" erschlittert. Also, wenn man lange genug. mit einem gewissen Anlauf, auf der vereisten Pfütze schlitterte, wurde sie spiegelglatt und immer länger. Man musste natürlich achtgeben, dass man ausrutsche und sich durch einen nachfolgenden Sturz verletze. Die meisten Knochenbrüche verzeichneten wir Kinder im Winter.
Es war eine schöne Zeit, eine wilde Zeit und es waren auch die ersten Begegnungen mit den Alliierten, mit den Amerikanern, die ich auch als Kind in sehr guter Erinnerung habe.
Es war eine Zeit, in der die Eltern von den Kriegserlebnissen noch gezeichnet waren, in der die Städte noch gelähmt waren und noch lange nicht alles organisiert war.
In diesen Nachkriegswirren war es für uns Kinder, bei allen Entbehrungen, einfach paradiesisch.
Wir spielten auf den Straßen, mit einfachsten Spielsachen, teilweise selbst gebastelt und es war ein großer Zusammenhalt zwischen Kindern und Erwachsenen.
Uns Kindern war es nicht bewusst, aber wir spürten das kommende Wirtschaftswunder. Wir spürten die Hoffnung unserer Eltern und wir spürten den sanften Optimismus der gebeutelten Gesellsc